Brudermord auf der Kirchenschwelle: Boleslaus tötet Bruder Wenzeslaus, dargestellt in einem Codex des 16. Jahrhunderts

 

Foto: Nationalbibliothek


Amoretten wie Kletten an Adrian de Fries’ "Psyche"

 

Foto: Liechtenstein Museum

Wien - "Only the good die young" , sang Billy Joel 1977 auf seinem Album Stranger. Das Gutsein des besungenen Helden ist allerdings umstritten, versuchte dieser Bube doch, eine katholische Jungfrau zum Beischlaf zu überreden.

Wie richtig die Zeile dennoch scheint, können aber viel ältere Historien untermauern: etwa jene von einem wirklich unumstritten Guten, ein Held der auszog, die Christianisierung voranzutreiben, die von Heinrich angebotene Königskrone ausschlug und dafür die Veitsreliquien heimtrug. Das Leben des böhmischen Wenzel, den die Tschechen bis heute als Nationalheiligen verehren, nahm im 10. Jahrhundert ein frühes Ende. Ob er die magische Dreißiger-Grenze überschritt, weiß man nicht: Bei den Geburts- und Sterbedaten ist die Forschung nicht ganz einig.

Effiziente Heldengeburt

Besonders effizient und nachhaltig ist Heldengeburt und Legendenbildung freilich, wenn sie blutig eingeleitet wird: Die Hand seines machtgierigen Bruders Boleslaus raffte den Wenzeslaus mit einem Schwerthieb hinweg. "Aufgestachelt von der Mutter, einer noch unermüdlicheren Verbrecherin" (sie hatte schon der -läuse Großmutter töten lassen), ist es in einem Codex des 16. Jahrhunderts zum Leben und Martyrium des hl. Wenzels niedergeschrieben. Und ebendieser Handschrift aus dem süddeutschen oder österreichischen Raum verdanken wir die aktuelle Ausstellung Wenzel von Böhmen - Heiliger und Herrscher in der Österreichischen Nationalbibliothek. Mangels eines bekannten Auftraggebers oder auch Buchmalermeisters trägt dieser Codex, versehen mit 23 bunten Bildtafeln zum Martyrium des Wenzel, keinen klingenden Namen - vergleichbar etwa mit dem Codex Aureus oder dem Mailänder Stundenbuch.

Bis heute. Denn bei der Pressekonferenz wurde nur von der "Uniqua-Handschrift" geredet: Die Versicherung hat diese erstmals öffentlich präsentierte Handschrift gekauft - und so geht dies prächtige Werk der Buchkunst womöglich einmal als Codex Uniqua in die Geschichte ein.

Es ist ihre erste Buchmalerei. Wie Generaldirektor Konstantin Klien verriet, sammelte man bisher Kunst vergleichsweise frischeren Datums. Dass nun auch eine bedeutende Handschrift zum Kunstschatz gehört, verdankt der Versicherer dem Zufall: Eine wahrlich schöne Geschichte mit folgender Moral: Lassen Sie lieber doch kein offizielles Abendessen aus; dort bekommen Sie Gusto auf völlig neue Investitionen!

Da wurde Klien von einem Hamburger Antiquar gefragt, ob er Interesse an dieser edlen, einst vom großen amerikanischen Privatsammler Robert Lehman gekauften Schrift habe. Dieser war im Übrigen der Sohn des Gründers jener Lehman Brothers Investment Bank, die letztes Jahr prächtig Pleite ging und dabei läppische 200 Milliarden Dollar Schulden hinterließ. Klien beschreibt den Verkauf des Famlienerbstücks als eine Art "Portfolio-Optimierung" in der umfangreichen Handschriften-Sammlung.

Der Uniqua erschien das Buch zum heiligen Böhmen als geeignetes völkerverbindendes Signal; verständigte sich mit der tschechischen Niederlassung und kaufte. Nach der Wiener Präsentation freut sich das Prager Nationalmuseum auf das gute Stück; als Dauerleihgabe soll es dort auch verwahrt bleiben.

Tolle Geschichten also rund ums Wenzelbuch, das die Nationalbibliothek nicht nur mit der Schwesterhandschrift aus eigenem Besitz, dem Codex des Prager Malers Matthias Hutský aus dem Jahr 1585, präsentiert. Gesäumt werden beidemit Wenzeslaus-Storys aus dem Krumauer Bildercodex und der Welislaw-Bibel (14. Jh.) oder den Wenzels-Viten barocker Zeit. Besonders kunstvoll macht sich in der Ausstellung jedoch die Handschrift von Matthias Ornys (Bilder zur Geschichte Böhmens) aus, die 1571 in Prag entstand und dessen Blatt Der Reichstag zu Worms dem Uniqua-Prunkstück glatt die Show stiehlt.

Wunderbare Geschichten erzählt auch eine andere Wiener Schau: Das Liechtenstein Museum widmet sich in Einzug der Künste in Böhmen in gewohnt sorgfältiger Weise dem Kunstschaffen am Prager Hofe Kaiser Rudolfs II. (1576-1612). Es richtet also den Blick auf das frühe 17. Jahrhundert.

Neben dem titelgebenden Relief von Hofbildhauer Adrian de Fries zeigt man dort auch einen wunderbaren Holzschnitt Albrecht Dürers (Schmerzensmann, 1511), der um 1600 in aller Munde war. Sein Rosenkranzzbild ließ sich der Kaiser von Venedig (wo der Meister es für eine Kirche gefertigt hatte) über die Alpen bis nach Prag bringen. Die verschraubte Yogapose seines Schmerzensmannes war de Fries sicherlich bekannt, wie sein Christus im Elend beweist.

Auf dem Schaffen von de Fries, das zunehmend an Statik verlor, liegt der Hauptaugenmerk der Ausstellung. Hingucker ist vor allem sein Merkur nach Giambologna, der einen großen Riss aufweist. Lange hielt sich die Mär, die Figur sei in der Nähe des Stiftes Lambach in der Erde vergraben gewesen; ein Pflug hätte dem Merkur also den Rücken aufgeschlitzt. In der Tat war ein Gussfehler dafür verantwortlich. Ein nüchterner Tod für eine schöne Legende. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.11.2009)