Gerhard Ruiss: "Auffindbar zu sein im Netz, bedeutet noch keine Veröffentlichung."

 

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Foto: Folio Verlag

Standard: Wie wird man als österreichische AutorInnenvereinigung in einen Vergleich zwischen einem Weltkonzern wie Google und amerikanischen Verlegern und AutorenInnen gezogen?

Gerhard Ruiss: Das hat mit dem amerikanischen Rechtssystem zu tun. Es geht dabei um eine Art Generalbereinigung bei Rechtskonflikten, die mit gerichtlicher Zustimmung privatrechtlich vorgenommen werden kann. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn man Rechtsstatus hat. Als österreichische Autoren haben wir aber keinen Rechtsstatus. Unsere Rechte sind und werden dennoch berührt. Das ist der Knackpunkt.

Standard: Hat sich, seitdem der Vergleich konkreter wurde, die Situation geändert?

Ruiss: Google ist vorsichtiger geworden und nicht mehr so exzessiv und gedankenlos mit dem Einscannen und der Wiedergabe der Texte. Schon bei leisem Widerspruch ziehen sie die Texte aus dem Angebot. Das Unternehmen arbeitet auf Basis von Kooperationspartnerschaften mit Bibliotheken, Druckern, kommerziellen Unternehmen. Gerade bei Print-on-Demand-Druckern hat sich ein Graubereich aufgetan: Sie sind im Besitz von Digitalisaten, die sie offenbar in der Grundhaltung weitergeben, dass Autoren, die ihr Service in Anspruch nehmen, auch mehr Öffentlichkeit wollen.

Standard: Sind Sie gegen mehr Öffentlichkeit?

Ruiss: Nein. Aber es muss eine adäquate Öffentlichkeit geschaffen werden. Auffindbar zu sein im Netz bedeutet noch keine Veröffentlichung im eigentlich Sinn. Das reine Erscheinen des Buchs bedeutet nichts, das reine Auffinden des Buchs auch nicht. Es muss in einen Kontext gestellt werden. Hat man Online-Veröffentlichungen als publizistisches Konzept, kann das funktionieren. Aber das Netz ist eigentlich ein Verstärker des Starken. Wer aus der Nische kommt, wird in der Nische bleiben. Das Netz hilft niemandem in die Erstwahrnehmung. Daran ändert auch das Argument von Google nichts, auffindbar zu sein.

Standard: Hat das mit dem technischen Rahmenwerk zu tun?

Ruiss: Google versteht sich als automatisierter Umschlagplatz. Das Verlagswesen besteht in erster Linie darin, Profile zu entwickeln - auch hinsichtlich des Kundenvertrauens. Wenn ich zu einem Buch aus einem bestimmten Verlag greife, weiß ich, welches Qualitätslevel ich erwarten kann. Der Verlag ist der Filter. In Österreich gab es in den letzten dreißig Jahren etwa 200 Verlagsgründungen. Sie alle haben - kaum zu glauben in einem kleinen Markt wie Österreich - ihr eigenes Profil entwickelt. Keiner ersetzt den anderen.

Standard: Gibt es auch etwas Positives an den Digitalisierungsplänen von Google?

Ruiss: Ich kann nichts anderes darin erkennen, als dass Google einen weiteren Bereich, der dem Unternehmen bisher fremd war, zu einem Betriebsinhalt macht. Bei der Digitalisierung von Büchern weiß man ja noch gar nicht, wie dieses Geschäftsfeld vermarktbar ist. Sobald Google aber darüber verfügt, hat es das Potenzial komplett in der Hand. Das ist eine Strategie, um sich auf allen Ebenen unentbehrlich zu machen und in weiterer Folge Zwangskooperationen zu forcieren. Google ist drauf und dran, sich das Netz unter den Nagel zu reißen.

Standard: Warum macht Google das?

Ruiss: Weil sie das machen können. So lautet die Philosophie.

Standard: Wie ist die Stimmungen unter den österreichischen Autoren und Autorinnen?

Ruiss: Das ist eine der großen Überraschungen: Wir dachten, es würde durchaus Gruppen geben, die das gar nicht so schlecht finden. Aber niemand will unter diesen Bedingungen publiziert werden. Der massivste Widerstand ist vom deutschsprachigen Raum ausgegangen. In Österreich, Deutschland und der Schweiz haben sich sehr rasch die AutorInnenorganisationen, die Buchhandelsorganisationen, die Verlage sowieso, und die Verwertungsgesellschaften zu einer starken Achse zusammengeschlossen. Der deutschsprachige Raum ist der zweitstärkste Verlagsmarkt. Ob das zu einem besseren Ergebnis beim Vergleich führt, wissen wir nicht. Google scheint keine Firma zu sein, die klein bei gibt.

Standard: Die Debatte geht aber weit über die Digitalisierung von Büchern hinaus?

Ruiss: Ja, Google holt zu einer erdrückenden Umarmung in allen Bereichen aus.

Standard: Aber mit freundlichem Gesicht.

Ruiss: Das sind die tödlichsten Umarmungen.

Standard: Hätte Google anders agieren können?

Ruiss: Ja, das hätten sie. Was die verwaisten Werke betrifft, werden gerade Verhandlungen mit Europa geführt. Das hätten sie gleich machen können. Sie hatten ja den technischen Startvorteil - diesen haben sie aber moralisch verspielt.

Standard: Würden weitere Digitalisierungsanbieter die Situation entspannen?

Ruiss: Dann gäbe es zumindest Konkurrenz. Und es muss Vertragsfreiheit geben. Wer über Rechte verfügt - egal ob Autor oder Verlag - hat das bisher mehr oder weniger individuell mit einem Vertragspartner geregelt. Google geht keine wirklichen Verträge ein, da trete ich einem Geschäftsmodell bei und bin gezwungen, die ganze Palette zu akzeptieren: neben den Rechten zur Digitalisierung räume ich auch Rechte zur Print-on-Demand-Nutzung und für E-Books ein. Wenn man an deren synthetische Sprecherfunktionen denkt, räume ich auch gleich noch das Recht für Hörbücher mit ein - das führt zu einer grenzenlosen Weiterverwertung.

Standard: Was bedeutet das für die Texte?

Ruiss: Jede Art der Reproduktion schafft im Grunde ein neues Original, eine Variante also. Das ist Basiswissen, das plötzlich verschwunden zu sein scheint. Die bildende Kunst weiß das: Blau ist nicht gleich blau - und genauso ist Text nicht gleich Text. Es gibt die Phantasie des reinen Nutzwertes eines Textes, darüber hinaus gibt es aber einen Wert, der mit Nutzen im engeren Sinne gar nichts zu tun hat.

Standard: Von welchem Wert sprechen Sie?

Ruiss: Inhalt, Form, Vermittlung - es geht um die Kontextierungsmöglichkeiten. Ein Autor wird mit dem besten aller Texte im falschen Verlagskontext auch nicht reüssieren können. Es geht um so viele Komponenten, die alle wegrationalisiert werden sollen. Damit geht aber auch ein Stück Kulturtechnik verloren.

Standard: Was wäre die ideale Lösung?

Ruiss: Google zieht sich zurück. Und beschränkt seine Aktivitäten auf den US-amerikanischen Buchmarkt und geht mit allen anderen - oder mit überhaupt allen - individuelle Vereinbarungen ein.

Die interessanteste Lösung ist für mich eine öffentlich-rechtliche Lösung. Der Staat hat am längsten und meisten in die Publizistik eines Landes investiert und man kann davon ausgehen, dass er die nötige Sorgfalt im Umgang mit Literatur mitbringt. Es muss Strukturen der Aufbereitung und der Kommunikation geben. Wenn Google so vermessen ist, eine Weltbibliothek aufbauen zu wollen, kann ich nur sagen, die Bibliothek von Alexandria wird auch ihre Bibliothekare und Archivare gehabt haben - und das können keine automatisierten Systemadministratoren gewesen sein, dazu braucht es Menschen.
(Franz Thalmair, DER STANDARD/Printausgabe, 23.11.2009 - Langfassung des Interviews)