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"Man liest die Tageszeitung mit anderen Augen", sagt der deutsche Raumfahrer Thomas Reiter über seine Erfahrungen im All. Als Esa-Astronaut verbrachte er knapp ein Jahr im Weltraum - auf der "Mir" wie auch auf der Internationalen Raumstation ISS.

Foto: APA/EPA/NASA/TV

STANDARD: Die Raumfahrt soll künftig eine gewichtigere Rolle für die Schaffung einer starken europäische Identität spielen - so der Tenor der Konferenz "European Identity through Space". Glauben Sie daran, angesichts der Internationalität der Raumfahrt?

Reiter: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Raumfahrt für Europa neben all den technisch-wissenschaftlichen und industriellen Aspekten eine ganz entscheidende Rolle beim Zustandekommen einer europäischen Identität spielen kann, sozusagen als Kristallisationskeim einer europäischen Identität. Denn die Begeisterung der Menschen, gerade für bemannte Raumfahrt, ist enorm. Meine Kollegen und ich erleben das permanent, wenn wir von unseren Missionen berichten.

STANDARD: Warum sollte gerade die Raumfahrt Europa mehr Zusammengehörigkeit bringen?

Reiter: Ich denke, wir haben in Europa, was unsere Geschichte angeht, eine ganze Menge Wurzeln, an die man anknüpfen kann. Bemannte Raumfahrt ist für mich eine logische Fortsetzung der Entdeckungsgeschichte: So wie Leute wie Columbus und viele andere Entdecker sich einfach auf den Weg gemacht haben und so wie viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter in abstrakter Weise neue Horizonte entdeckt haben, so kann das eben auch die Raumfahrt machen. Und das ist in Europa verwurzelt. Darauf sollten wir uns besinnen und die Raumfahrt in diesem Kontext sehen. Sie ist eine kulturelle Bereicherung für Europa.

STANDARD: Hat die bemannte Raumfahrt eine Zukunft in Europa?

Richter: Man muss sich zunächst darüber klar werden, welche Rolle Europa in Zukunft in der bemannten Raumfahrt überhaupt spielen kann. Mit dem, was wir heute zur Internationalen Raumstation ISS beitragen, sind wir schon ganz gut aufgestellt. Wir haben gezeigt, dass wir mit vergleichsweise begrenzten Mitteln gegenüber dem, was die amerikanische Raumfahrtagentur Nasa zur Verfügung hat, doch eine ganze Menge machen können - das Preis-Leistungs-Verhältnis ist da doch enorm gut. Darüber hinaus muss man sich klar werden: Was wollen wir in Europa wirklich? Wo wollen wir Schwerpunkte setzen, sind wir uns da einig? Erst dann können wir uns konkret über die Implementierung Gedanken machen.

STANDARD: Soll es zum Mond gehen? Oder gleich zum Mars?

Reiter: Eins ist klar: Wir wollen die ISS so lange wie möglich weiterführen. Über Explorationsvorhaben, die darüber hinausgehen, muss sich Europa erst grundsätzlich klar werden. Wollen wir bei der Rückkehr des Menschen zum Mond dabei sein? Ich persönlich halte das für einen logischen Schritt. Wollen wir Europäer Explorationsvorhaben, die sicherlich nur in einem großen internationalen Kontext passieren können, auch wirklich inhaltlich mitführen und aktiv mitarbeiten? Das heißt nicht, dass man da gleich Millionen und Abermillionen von Geld hineinstecken muss, man sollte erstmal Ziele abstecken. Menschen zum Mars zu schicken, könnte da so ein weites Ziel in der Zukunft sein. Ich würde mich darüber freuen.

STANDARD: Filme und Literatur nehmen diese Szenarien längst vorweg. Mögen Sie Science-Fiction?

Reiter: Ja, natürlich! Ich finde das einfach faszinierend. Einer meiner absoluten Favoriten war und ist immer noch Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum. Das ist ein Klassiker, auch wenn er mit den Möglichkeiten heutiger Animations- und Produktionstechniken nicht mehr mithalten kann. Als der Film 1968 herauskam, drehte sich alles um die amerikanischen Mondmissionen, und es lag auf der Hand, dass die Erforschung des Weltalls auch nach der Mondlandung weitergehen würde. Keiner hätte damals gedacht, dass man irgendwann das Mondprogramm beendet. Ich schaue auch heute noch gerne Science-Fiction-Filme. Und ich lese gern Science-Fiction-Bücher. Als Nächstes werde ich Frank Schätzings neuen Roman Limit lesen.

STANDARD: Sie haben zwischen 1995 und 2006 insgesamt knapp ein Jahr im All verbracht, davon mehr als 14 Stunden im Außeneinsatz. Hat Sie diese Erfahrung persönlich verändert?

Reiter: Meine Frau sagt, ich bin immer noch der Alte. Das ist ein gutes Zeichen. Auf der anderen Seite verändern einen natürlich solche Eindrücke. Man liest die Tageszeitung mit anderen Augen. Man wundert sich manchmal, wie schwer es uns fällt, nach einer so langen Geschichte der Entwicklung der Menschheit, Probleme zu überwinden. Die Eindrücke, die ich dort oben gesammelt habe, kommen mir in diesen Momenten immer wieder in Erinnerung. Dann habe ich diese Bilder vor Augen, auf der einen Seite diese unglaubliche Schönheit unseres Planeten, auf der anderen Seite das Wissen, was für verrückte Dinge hier manchmal passieren, und wie schwierig es manchmal ist, miteinander auszukommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.11.2009)