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Die Kurdendebatte führte im türkischen Parlament bereits Anfang der Woche zu Handgreiflichkeiten und Tumulten. Die nationalistische MHP ist strikt gegen die Kurdeninitiative der islamischen AKP.

Foto: AP/Ozbilici

Vor dem türkischen Parlament hat Ministerpräsident Tayyip Erdogan am Freitag angekündigt, seine Regierung werde entschlossen gegen die ethnischen Gräben angehen und insbesondere im Verhältnis zur kurdischen Minderheit ein neues Kapitel aufschlagen.

In seiner lange erwarteten Rede, in der erstmals die Details der neuen Kurdenpolitik vorgestellt wurden, blieb Erdogan jedoch weiterhin eher vage. Mehr Sensibilität und Verständnis für kurdische Sorgen wolle man zeigen, mehr Geld in Projekte im kurdisch besiedelten Osten investieren und insbesondere die unterentwickelten Dörfer unterstützen. Erdogan versuchte mit seiner Rede insbesondere die Oppositionsparteien CHP und MHP davon zu überzeugen, sich einer solchen Politik nicht zu verschließen, sondern sich der neuen Zeit anzuschließen.

Vor ihm hatte Innenminister Besir Atalay die Debatte eingeleitet und nach dem verunglückten Auftakt am Dienstag dieser Woche, als das Parlament sich in Verfahrensfragen erschöpft hatte, nun endlich einige konkrete Anmerkungen dazu gemacht, mit welchen politischen Schritten die Regierung den schwierigsten Konflikt des Landes zu lösen gedenkt. Unter dem Motto "Mehr Freiheit für alle" soll den Kurden erlaubt werden, ihre Sprache künftig auch im öffentlichen Leben, in Wahlkämpfen und in der Arbeit der Kommunen zu benutzen. Dörfer und Städte könnten ihre alten kurdischen Namen zurückbekommen und außerdem soll eine unabhängige Behörde künftig Beschwerden über Diskriminierungen annehmen.

Vor allem aber will die Regierung eine neue Verfassung, in der die Freiheitsrechte für alle in einem Grundrechtskatalog verankert werden soll, der bisher fehlt. Doch dafür braucht sie die Opposition und die machte in der Debatte am Freitag erneut deutlich, dass mit ihr nicht zu rechnen ist. Der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, redete eine Stunde lang fast nur über den "Terror der PKK" , den Schmerz der Angehörigen gefallener Soldaten, den die Regierung mit Füßen treten würde und dem Verrat von Regierungschef Erdogan, der mit seiner Kurdenpolitik das Land aufteilen wolle. Aber auch Deniz Baykal, Vorsitzender der CHP, denunzierte die Reformvorschläge zur Lösung der Kurdenfrage als ein Komplott, das die regierende AKP mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan abgesprochen hätte.

Neben der erwarteten Kritik aus dem nationalistischen Lager, machte aber auch Ahmet Türk, der Vorsitzende der kurdischen DTP, in seiner Rede deutlich, dass die bisherigen Ankündigungen der AKP-Regierung noch weit davon entfernt sind, für die Kurden eine Lösung zu sein. Er nutzte seinen Auftritt, um im Parlament an die Verbrechen der türkischen Politik gegenüber den Kurden in den letzten sieben Jahrzehnten zu erinnern. Türk bekräftigte, dass auch die Kurden eine Lösung innerhalb der bestehenden Grenzen wünschen. "Die Kurdenfrage ist keine Frage der Fahne" war seine eher versöhnliche Botschaft.

(Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2009)