Sascha Reichstein thematisiert die Globalisierung in der Produktion traditioneller Kleidung ("Daily Production", 2008).

Foto: Reichstein

Salzburg - Jenes unglaublich unangenehme Gefühlschaos, das einen ereilt, wenn zwei oder drei Dinge nicht und nicht zusammenpassen wollen - wenn also Tatsachen, Gefühle und Wahrnehmungen sich haarsträubend widersprechen - nennt die Sozialpsychologie "kognitive Dissonanz". Und weil das mit der Dissonanz natürlich kein Zustand ist, schustert der damit Getroffene so lange herum, sucht er nach Rechtfertigungen und Ausreden, bis zum Beispiel das Rauchen eh gar nicht mehr so ungesund sei, wie alle behaupten. Oder aber - ein überaus österreichisches Phänomen - man sperrt alles, was die Harmonie stören könnte in eine Lade und wirft den Schlüssel weg.

Zur Wahrung der touristischen Sound of Music-Glückseligkeit zwischen Mönchs- und Untersberg, zwischen Schloss Fuschl und Leopoldskron werden dem Trapp-Touristen im Salzburgischen daher die Wahrheiten nur in kleinen Dosen verabreicht: Nein, Edelweiß ist nicht Österreichs Nationalhymne. Aber wie viel Dissonanz ist dem Reisenden zumutbar?

Mythen zerbröseln

Kann er etwa die Erfahrung ertragen, dass sein herzerfrischendes Intonieren von The Hills are alive with the sound of music; with songs they have sung for a thousand years ... beim ach-so-urigen Gebirgsvolk keine Reaktion - abgesehen von Schulterzucken - auslösen wird? An der schöngefärbelten Widerstandsweste des Kapitäns von Trapp zu kratzen und den Mythos von Österreich als erstem Opfer des NS-Regimes zerbröseln?

Dem Salzburger selbst scheint dieses absurde "Fremdbild", ein Konstrukt aus dem Sound of Music-Film (1965), dem zugrunde liegenden Musical (1959) sowie den beiden deutschen Trapp Familie-Filmen (1956, 1958) und der Biografie Maria von Trapps (1952), hingegen sehr wohl zumutbar zu sein. Nach vier Jahren in Salzburg war es für Kunstverein-Chefin Hemma Schmutz jedoch an der Zeit, sich diesen paradoxen Übertragungsfehlern zwischen Trapp'scher Ur-Geschichte und dem aufgeplusterten Mythos, dieser Konstruktion von Traditionen, anzunähern.

Ausgangspunkt für die Auseinandersetzungen der trotzig verneinenden Schau No Sound of Music sind die Thesen des Historikers Eric Hobsbawm: Geschichte sei keine Faktenreihung, sondern ein Prozess der Konstruktion. Und erfundene Traditionen, als Teil historischer Fiktion, würden über kurz oder lang gesellschaftlich legitimiert werden. Sind die monetär erquicklichen Sound of Music-Touren womöglich schon ein Stück historischer Legitimation?

Die Klischeeproduktion der Traumfabrik Hollywood stellt Paul McCarthy buchstäblich auf den Kopf und schüttelt so - noch dazu rückwärts abgespielt - die Stereotypen - etwa die zu Kostümkünstlichkeit aufgebauschte Vorstellung lokaler Tracht - aus dem Musical heraus. Pia Lanzinger und Michael Hauffen heften sich auf die verschlungenen Pfade der Vermarktung des Edelweiß-Symbols.

In Didi Neidharts Collage der Diskrepanzen verknüpft er auch die zum Dauerträllern gedrillten Trapp-Kinder mit dem Schicksal der halbwüchsigen Jackson Five. Dort hakt auch Julius Deutschbauer ein: Zur Eröffnung ließ er ein Mädchen eine Rede halten. Statt lieblicher Worte prasselte allerdings eine Tirade übler Schimpfwörter auf die Zuhörer ein.

Nebulös die Biografie des U-Boot-Kommandanten Trapp, die Hans Pollhammers Traptrumm als tragisches Seestück im Reisekoffer entwirft: Herrlich! Herausragend auch die Arbeit von Sascha Reichstein, die die Trachtenhosenproduktion in Sri Lanka der Fertigung von Stoffen für den afrikanischen Markt in Vorarlberg gegenüberstellt. Fazit: eine zumutbare Portion kognitiver Dissonanz, die im geplanten Sound of Music-Museum nicht fehlen darf. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 14./15.11.2009)