In die Freude und den Stolz über die Beförderung zur Führungskraft mischt sich erfahrungsgemäß meist auch die mehr oder weniger bange Frage nach den nun gefragten Verhaltens- und Vorgehensweisen. Nachvollziehbar, wird doch oft einfach erwartet, dass die gezeigte hohe fachliche Leistung ohne besondere Vorbereitung nahtlos auch in der Vorgesetztenposition erbracht wird.

Dabei stellt die in der Mitte zwischen zwei unterschiedlichen Erwartungen, der nach Effizienz der Geschäftsleitung und der nach einem sinnvollen Miteinander der Mitarbeiter, angesiedelte neue Aufgabe grundsätzlich andere Anforderungen an den Stelleninhaber als die einer Fachkraft.

Goethe

Augenscheinlich hat sich schon Goethe in seinen vielfältigen Positionen als Führungskraft in Weimar mit dieser Problematik beschäftigt. Seine noch immer für just von der Fach- zur Führungskraft Beförderte richtungsweisende Erkenntnis fasste er in die Worte: "Das Was bedenke, mehr bedenke Wie." Ein beherzigenswerter Rat. Zeigen doch Beobachtungen in der Praxis immer wieder die Wirkkraft der Umgangsqualität, des Goethe'schen "Wie".

Was mit einer Studie am Psychologischen Institut II an der Universität Münster gerade wieder bestätigt wurde. Ihr empirisches Ergebnis: Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit, Sorge um die Mitarbeiter und faires Entscheidungsverhalten steigern die Arbeitszufriedenheit und das Commitment der Mitarbeiter signifikant. Und dieses Commitment der Mitarbeiter, ihr „Mitziehen", ist der „Stoff", aus dem junge Führungskräfte die sie schmückenden Kleider vorzeigbarer Erfolge am leichtesten schneidern können.

Macht durch Zuwendung

Was im Eifer, in der neuen Position zu reüssieren, oft nicht bedacht wird: Erfolgshindernisse erwachsen meist weniger aus der Sache als aus dem Umgang miteinander. Oder, wie der Wiener Reisefotograf und Reiseleiter Bernhard Moestl in seinem neuen Buch "Die Kunst, einen Drachen zu reiten - Erfolg ist das Ergebnis deines Denkens" schreibt: "Macht erhältst du durch Zuwendung, nicht durch Gewalt." (Knaur-Verlag, München)

Und was anderes ist Macht für eine junge Führungskraft als die Fähigkeit, etwas zu bewirken? Die Chance, sich in der neuen Rolle als Vorgesetzte/r zu behaupten, der Geschäftsleitung die erwarteten Erfolge zu präsentieren und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die erhoffte Zuwendung zu erteilen und gleichzeitig Freude an der ungewohnten neuen Aufgabenstellung zu haben, liegt deshalb insbesondere darin, in den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Unterstützer und keine Untergebenen zu sehen.

Dazu braucht es zwangsläufig weit über das rein Fachliche hinausgehendes neues Wissen. So mannigfaltig die im Einzelnen dazu gehörenden Wissensinhalte auch sind, letztlich müssen sie eine Kompetenz aufbauen: die Fähigkeit, aus vielen Köpfen einen Geist, einen gemeinsamen Willen zu formen. In der Kunst, Gruppenprozesse leistungsorientiert zu lenken, ein Team moderierend ein- und abzustimmen und auf den Weg zu bringen, liegt die einzig wirklich Chance, den Erwartungen beider "Lager" gerecht zu werden.

Verständnis für Gruppenprozesse

In dieser Kunst erweist sich die wahre Führungskraft. Wie die Praxis unablässig zeigt, prägt eine Notwendigkeit den Alltag einer Führungskraft: zwischen unterschiedlichen bis kontroversen Ansichten und Vorstellungen ihrer "Mannschaft" zu vermitteln, gleichzeitig die Sache aber zielorientiert voranzubringen. Fehlt das Verständnis für Gruppenprozesse, gelingt das in der nötigen Effizienz, ohne auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontraproduktiven Druck auszuüben und sie zu bevormunden, nur schwerlich. Und wenig effizient.

Mit diesem Verständnis für Gruppenprozesse und dem Wissen, wie mit ihnen umzugehen ist, können junge Führungskräfte mit relativ geringen Mitteln außerordentlich zielorientiert arbeiten und große Wirkung erzielen. Heißt Mitarbeiterführung heute in ihrem Wesenskern doch vor allem, eine heterogene Gruppe von Menschen anzuregen, ständig homogen, sprich: miteinander darüber nachzudenken, wie das, was heute getan wird, morgen besser getan werden kann. Im Blick auf das wie auch immer geartete Produkt als solches wie auf die dazu führenden Abläufe und Verfahren.

Fußt Führung nicht auf diesem Verständnis, wird es schwer bis unmöglich, die laufend notwendig werdenden Anpassungs- und Entwicklungsprozesse im Großen wie im Kleinen, im alltäglichen Arbeitsablauf wie im zukunftserschließenden prospektiven Handeln in der notwendigen Wirkungsqualität zielorientiert zu gestalten. Die immer wieder zu beobachtende organisatorische Verkrustung und intellektuelle Vergreisung von Betrieben ist letztlich nichts anderes als Ausdruck eines Versagens beziehungsweise eines ungenügenden Verständnisses von Führung.

Gestaltungsauftrag

Was Vorgesetzte mithin beherrschen müssen, ist die Kunst, aus vielen Köpfen einen Geist, ein Wollen zu formen. Mit anderen Worten: Gruppenprozesse anzustoßen, und zu steuern und so Wissen zu aktivieren und in den Dienst des Unternehmens zu stellen. Vor allem auch das verborgene, unterschwellige, latente Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Mit Gruppenprozessen umgehen, sie moderieren zu können, das verlangt allerdings mehr als nur das Leiten eines vielstimmigen Gesprächs! Es bedeutet das Gestalten und Steuern eines nicht selten konfliktbehafteten Problemlöse- und damit letztlich auch immer eines direkten oder indirekten Entscheidungsprozesses, an dem mehrere Personen gleichberechtigt beteiligt werden.

Zwar ist der Vorgesetzte der Gesprächsleiter, gleichzeitig aber wesentlich mehr als das. Er fördert mit den verschiedenen Moderations„werkzeugen" den Austausch der vorhandenen Meinungen, aktiviert das jeweilige individuelle aktive und passive Wissen, unterstützt die Bildung einer gemeinsamen Meinung in der Gruppe und führt die Teilnehmer zu einem von allen getragenen Ergebnis beziehungsweise einer Entscheidung - sei es beim Lösen eines auftauchenden Problems im normalen Alltagsgeschehen, beim Bearbeiten einer komplexen Aufgabe oder einer betrieblichen Analyse- oder Entwicklungsinitiative.

Mehr Personen

Wissen und Erfahrung einzelner Mitarbeiter reichen zur Problemlösung beziehungsweise Entscheidungsfindung nur noch selten aus. Stets ist damit die Gefahr der Einseitigkeit und Kurzsichtigkeit verbunden. Sinnvollerweise nehmen sich folglich mehrere Personen mit unterschiedlichem Wissen, Können und Blick in die Welt der Sache an. Begreift sich der Vorgesetzte hier nicht als moderierender Primus inter pares, würgt er das ab, was von ihm erwartet wird: mit dem geringstmöglichen Mitteleinsatz den größtmöglichen Erfolg abzuliefern.

Ein wichtiges Augenmerk junger Vorgesetzter sollte folglich dem Vermeiden zwischenmenschlicher Reibungsverluste gelten. Und ein in der Praxis immer wieder erkennbarer zentraler Reibungspunkt ist das Vorgesetztenverhalten.

Um- und weitsichtige Führungskräfte bedenken das stets und wissen: Je einfühlsamer sie die von ihnen zu verantwortenden Leistungsprozesse moderieren, desto mehr fördern sie nicht nur die Verständigung zwischen den Teilnehmern eines Problemlöse- oder Entscheidungsprozesses, kurz: eines Meetings, sondern geben ihren „Leuten" darüber hinaus gleichzeitig auch hilfreiche Impulse hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit über einen speziellen Anlass hinaus. Auch das zeichnet eine wahre Führungskraft aus: in größeren Zusammenhängen, über einen eigentlichen Anlass hinaus zu denken, zu handeln und zu wirken.

Innerbetriebliche Zusammenarbeit

Mit der wachsenden außerbetrieblichen Komplexität wächst zwangsläufig auch die Komplexität der innerbetrieblichen Zusammenarbeit. Neue oder veränderte Arbeitsgruppen- bzw. Teamkulturen sind die häufige, ja beinahe regelmäßige Folge betrieblicher Entwicklungs- und/oder Anpassungsprozesse. Und die wiederum „funktionieren" nur, wenn der verhaltensmäßige "Input" des Vorgesetzten stimmt, sprich: wenn sie oder er in der Lage ist, ihre/seine Mannschaft wirklich "mitzunehmen" und zu gemeinsamem Tun zusammenzubringen.

Der 1949 in die USA übersiedelte und 2002 verstorbene legendäre Wiener Physiker und Mitbegründer der Kybernetik Heinz von Foerster befasste sich auch mit Managementfragen. In einem Gespräch verwies er einmal auf zwei, wie er sagte, "wunderschöne österreichische Sprichwörter": "Auch vom Dümmsten kann man lernen" und: "Lasst sie deppert sterben."

Gruppenprozesse managen

Was von Foerster damit meinte, sagte er so: "Mit dem ersten Sprichwort möchte ich einem Betriebsdirektor nahelegen, dass er von jedem Menschen, der in seiner Firma arbeitet, etwas lernen kann. (...) Das zweite Sprichwort besagt, dass den Möglichkeiten, einem Menschen etwas beizubringen, Grenzen gesetzt sind, dass es also keinen Sinn hat, in einen Kontrollwahn zu verfallen und zu glauben, jeder ließe sich autoritär in eine bestimmte Richtung transformieren und in einen ganz bestimmten Menschentyp verwandeln."

In diesem Sinne wird die Fähigkeit, Gruppenprozesse zu handhaben, mehr und mehr zu einer zentralen Kompetenz für von der Fach- zur Führungskraft aufgestiegene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Steht und fällt doch ihre Chance, mit einer überzeugenden Performance ihre Beförderung als richtig zu bestätigen und sich gleichzeitig für weitere Sprossen der Karriereleiter zu empfehlen, maßgeblich mit ihrem Vermögen, die ihnen anvertrauten Kräfte optimal "zu erschließen", ohne sie und sich dabei zu verschleißen. (Hartmut Volk/DER STANDARD; Printausgabe, 14./15.11.2009)