Mit dem VitraHaus holte Rolf Fehlbaum Herzog & de Meuron heim an den Rhein, und die beiden Architekten brachten ihrerseits ein paar Stücke Heimat zum Tanzen (oben). Der runde Entwurf von Sanaa (unten) ist ein vertretbares Mehr an Kosten mit reizvollen Nebeneffekten.

Renderings: Vitra

Firmenchef Rolf Fehlbaum über ihren Mehrwert.

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"Man könnte es billiger haben", sagt Rolf Fehlbaum, "aber dann wäre Weil am Rhein nicht Weil am Rhein."

Es - das sind die Behausungen von allem, was zu einem Unternehmen gehört, wie Fertigungsanlagen, Lager, Schauräume usw.

Und Weil am Rhein ist ein kleiner Ort im äußersten Südwesten Deutschlands, beschaulich in der Rheinebene gelegen, mit Blick auf die Ausläufer des Schwarzwaldes. Die Bewohner sprechen stolz von der "Stadt der Stühle" , an Architektur Interessierte nehmen große Umwege in Kauf, um hier Station zu machen, und beides hat denselben Grund: In Weil am Rhein stehen die markanten Bauten der Firma Vitra, die unter anderem für ihre Stühle bekannt ist.

Rolf Fehlbaum ist ihr langjähriger Chef. Er hat die Architekturkultur von Vitra geprägt. Nun, in den Verwaltungsrat aufgestiegen und nicht mehr im Tagesgeschäft, ist er weiterhin als ihr Botschafter und Förderer unterwegs.

Auch wenn er Linz besucht wie eben, dann hat das in erster Linie mit dem Thema Gestaltung zu tun. Martin Heller, sein Landsmann, Verwaltungsratskollege und Intendant der Kulturhauptstadt 2009, hatte ihn zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen, Titel: Good Design Is Good Business.

Am Vorabend ist sie über die Bühne gegangen und hat Gelegenheit geboten, sich über den Zusammenhang von Gestaltung und Geschäft Gedanken zu machen. Nun sitzt Fehlbaum beim Morgenkaffee in einem Hotel in der Linzer Innenstadt und spürt den Nachhall der Diskussion. "Ob dieser Titel so stimmt?", fragt er und gibt sich selbst die Antwort: "Kitsch kann auch Good Business sein", also Bedingung für Profit ist es nicht, den gestalterischen Mehrwert zur Maxime zu erheben. "Wenn andererseits das Business schlecht ist, dann nützt auch Design nichts."

Ästhetischer Mehrwert

Doch eigentlich will er davon sprechen, warum er es in Weil am Rhein nicht billiger haben will. Ein aktuelles Beispiel ist die Lager- und Fertigungshalle des japanischen Architektenteams Sanaa. Es ersetzt einen halb so großen Bau am Rand des Vitra Campus, der technische Grund waren neue logistische Notwendigkeiten des Just-in-time-Produzierens und eine entsprechend veränderte Organisation der Endfertigung.

Dafür bräuchte man nicht mehr als ein Team von ein paar guten Logistikern und Ingenieuren, die die Halle effizient planen - insbesondere, sagt Fehlbaum, weil "eine Fabrik determinierter ist als etwa ein Museum."

Ein solches gibt es ja auch seit 1989 auf dem Campus, es war der erste Bau, den Frank Gehry in Europa realisiert hat und der Weil am Rhein auf die Landkarte der Architekturtouristen gesetzt hat (vier Jahre später unterstrich Zaha Hadid diesen Ruf mit dem Feuerwehrhaus des Unternehmens, ihrem ersten verwirklichten Bau überhaupt).

Bei einem Fabrikgebäude also müsse sich der Architekt mehr zurücknehmen. Doch das heißt nicht, dass man eine Lösung von der Stange zu nehmen hat. Fehlbaum hat die Arbeiten der Sanaa-Partner Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa seit vielen Jahren verfolgt - hervorgetreten sind sie unter anderem mit dem New Museum in der Bowery von Manhattan - und haben, wie er sagt, auf das richtige Projekt gewartet.

Sejima, die für den Entwurf hauptverantwortlich ist, schlug einen runden Bau vor. Das war nicht zwingend, und "hoffentlich funktioniert das auch", war die Hoffnung bei Vitra. Es stellte sich heraus, dass dieser Grundriss sogar einiges verbesserte, etwa das Andocken der Lkws von allen Seiten wie am Finger eines Flughafens.

"Dazu kam ein Lichtkonzept, das angenehme Helligkeit produziert", sagt Fehlbaum. "Es ist wahrscheinlich die einzige Fabrik, die tagsüber kein Kunstlicht braucht. Und die Konzeption der Öffnungen: Das ist alles mit mehr Bedacht gemacht, als sonst üblich ist. Die Fenster sind wie Bilder gesetzt, man sieht das Umfeld, die Berge, während in den meisten Hallen dieser Art alles verstellt ist. Sejima hat viele Eingriffe gemacht, die gemeinsam ein reizvolles Klima erzeugen."

Unterm Strich war es teurer als eine 08/15-Lösung. Vertretbar teurer? "Das ist der richtige Ausdruck. Es war ein vertretbares Mehr. Wir sind ja ein Unternehmen und keine kulturelle Institution, es muss sich alles in einem ökonomisch argumentierbaren Rahmen abspielen."

Außerdem entsteht so ein ästhetischer Mehrwert, der wiederum auf das Image von Vitra zurückwirkt. Fehlbaum mag den Ausdruck nicht besonders, aber der "Architekturzoo" am Rhein hat dazu beigetragen, dass die Objektmeublage aus Basel bei Kunden, vom deutschen Bundestag bis zum kalifornischen Apple, noch begehrter ist.

(Umgekehrt wiederum könnte es so weit sein, dass die Präsenz im "Zoo" ihrerseits auf das Renommee der dort Vertretenen zurückstrahlt. Jedenfalls ist Kazuyo Sejima dieser Tage zur Direktorin der 12. Internationalen Architekturbiennale 2010 in Venedig ernannt worden.)

Gestapelte Hausformen

Der Sanaa-Bau ist fast fertig, nur an der sehr komplexen Fassade wird noch gearbeitet. Etwas länger dauert es beim zweiten Neubau in Weil, und auch die Vorgeschichte war länger und ein wenig komplizierter.

Herzog & de Meuron sind fast Nachbarn der Fehlbaums in Basel, und sie kennen einander schon lange. Aber der Unternehmer achtete auf Internationalität bei den Bauplanern ebenso wie bei den Produktdesignern, wo er Namen von Eames bis Citterio, von Prouvé bis Morrison im Portefeuille hat. "Ich wollte die Welt nach Weil am Rhein holen." Was naheliegt, übersieht man da gerne.

"Der Jacques (Herzog) sagt, was er denkt" erinnert sich Fehlbaum, "und er sagte: ‚Der Rolf Fehlbaum ist ein Idiot, der merkt nicht, dass wir grad so gut sind wie die Leute, die er da holt.‘"

Nun hat er sie geholt, und wie! Die Aufgabe war, für die relativ neue Schiene der Vitra Home Collection (die eigentlich eine alte Schiene ist, denn mit Heimmobiliar hat Vitra begonnen) eine Heimat zu schaffen, fast im Wortsinn. Herzog & de Meuron hatten gleich die Idee, die regionalen Hausformen zu verlängern, zu stapeln und ineinander zu verdichten. "Dadurch entstehen Unterteilungen und Ausblicke statt ein Meer von Möbeln wie in einem Warenhaus."

Außerdem wird das VitraHaus der beiden Schweizer - Eröffnung ist im kommenden Februar - zum neuen Empfang - dort, wo bisher nur eine einsame Fabrikpforte stand. Die immerhin fast 100.000 jährlichen Besucher vor allem des Museums werden in Lounges Objekte aus der Sammlung sehen, sie werden in Arbeitsräumen mit den Vitra-Prinzipien vertraut gemacht und einen ersten Eindruck von den architektonischen Leistungen bekommen. Welcome to the Zoo! Pardon: Campus! (Michael Freund, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 14./15.11.2009)