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Franz Müntefering geht ...

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... In seiner Abschiedsrede gibt er sich der scheidende Parteichef kämpferisch: "Wir kommen wieder!"

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... Es folgt ihm Sigmar Gabriel als SPD-Parteichef.

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Führungswechsel bei den deutschen Sozialdemokraten: Sigmar Gabriel (li.) übernimmt die Partei von Franz Müntefering, der von 2004 bis 2005 und von 2008 bis 2009 Parteichef war.

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Er spricht von mehr Steuern, umwirbt aber auch Unternehmer und will die "Mitte" zurückerobern.

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Haben die Organisatoren das Rednerpult vergessen? Kaum in der großen Halle der Dresdner Messe angekommen, rätseln einige Delegierte bereits. Aber nein, Sessel, Tische, Pult - alles da. Das Pult steht nur ganz woanders als sonst bei Parteitagen. Nicht vorne auf der Bühne, sondern in der Mitte, fast zwischen den Reihen, wo die Basis nun Platz nimmt.

Denn über diesem SPD-Parteitag, der wieder einmal einer des Aufbruchs sein soll, schwebt vor allem ein Motto: "Genossen an der Basis, wir brauchen euch, wir wollen mit euch entscheiden."

Deshalb spricht der scheidende SPD-Chef Franz Müntefering seine Abschiedsworte nicht frontal von einer Bühne herab, sondern nahezu im Kreise der Delegierten. Natürlich trägt "Münte" einen tadellosen Anzug. Darüber aber hat er eindeutig ein unsichtbares Büßerhemd gestreift. "Die Dimension der Niederlage ist erschreckend", räumt er ein. Elf Prozentpunkte hat die SPD bei der Bundestagswahl am 27. September verloren, zehn Millionen Wähler weniger als 1998 hatte sie an diesem Tag.

"Manches ist misslungen", bekennt Müntefering und räumt "Fehler" ein. Man habe es nicht geschafft, zu erklären, wie "Innovation und Gerechtigkeit" miteinander verbunden werden können. Dann verabschiedet er sich mit einem seiner Sätze der Marke "kurz & knackig": "Die SPD ist klein geworden, die sozialdemokratische Idee nicht." Und: "Wir kommen wieder, ich bin dabei." Warmen, langen und freundlichen Applaus bekommt Müntefering, der von der Partei einst so geliebt wurde. Doch enthusiastisch ist der Beifall nicht.

Und so ganz geht auch sein Konzept nicht auf. Obwohl sich "Münte" selbstkritisch gibt, kann er die Genossen nicht besänftigen. Nach seiner Rede melden sich 66 Delegierte, die meisten, um Dampf abzulassen. Zum ersten Mal gibt es bei einem Parteitag keine Zeitbeschränkung beim Tagesordnungspunkt "Aussprache". So prasselt die Kritik den ganzen Nachmittag lang auf die Parteispitze ein.

Kritik am Führungsstil

"Es heißt immer, wir erklären unsere Politik nicht richtig" , ruft Harald Unfried aus Bayern. Aber das sei Unsinn. "Die Leute da draußen am Land" würden einfach vieles ablehnen, was die SPD beschlossen habe: Afghanistan-Einsatz, höheres Pensionsalter, Ausweitung der Leiharbeit. Axel Schäfer, Nordrhein-Westfalen, kritisiert die autoritäre Führung: "Die Dinge sind einfach von oben beschlossen, aber nicht von der Basis legitimiert worden." Dem Berliner Michael Müller "tut es weh, dass eine Partei, die historisch Recht hat, nun so abschmiert" . Schließlich sei es die SPD, die immer schon vor ungezügeltem Kapitalismus gewarnt habe. Und dann habe sie es im Wahlkampf nicht einmal geschafft, den "Deutschland-Plan" für Arbeitsplätze breit zu diskutieren.

Sigmar Gabriel, der bisher Umweltminister war, sitzt am Podium und hört sich all das Wehklagen konzentriert an. Es dauert fünf Stunden, bis er endlich mit seiner großen Antrittsrede an der Reihe ist. Launig ist sie in weiten Teilen, Gabriel ist ein guter Redner.

Der frustrierten Basis versucht er Mut einzuimpfen:"Ich will, dass die SPDwieder so stark wird, dass die anderen sich fragen: Was müssen wir ändern, damit wir mir ihr koalieren dürfen." Doch wer auf einen radikalen Kurswechsel hoffte, wird enttäuscht. "Die SPD kann, darf und will ihre Regierungsbeteiligung in den vergangenen Jahren nicht verleugnen" , mahnt der 50-jährige Niedersachse.

Am Samstag wird sich der Parteitag mit dem Leitantrag der SPD-Spitze beschäftigen. Darin wird gefordert, zu überprüfen, ob es richtig war, das Pensionsalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Es gibt einige Anträge, die die Rücknahme verlangen. Für diese aber wird keine Mehrheit erwartet. Der Leitantrag sieht auch keine Abkehr von Arbeitsmarktreformen vor. Der achte SPD-Chef seit Oskar Lafontaines Abgang 1999 wirbt für einen Ausgleich:"Wir brauchen einen neuen sozialen Konsens, der breitere Schultern stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls heranzieht." Das ist für ihn "sozialer Patriotismus" . Geld für Bildung soll durch höhere Steuern hereinkommen, die Ökosteuer will Gabriel weiterentwickeln. Doch er betont, dass Unternehmer "nicht der Klassenfeind" seien, sondern Partner. Der Basis verspricht Gabriel mehr miteinander, als übereinander zu sprechen. Sie bedankt sich mit einem für ihn sehr erfreulichen Wahlergebnis: Gabriel bekommt 94,2 Prozent.(Birgit Baumann aus Dresden/DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2009)