Kreml-Chef Dmitri Medwedew verdonnert Russland in seiner zweiten Rede zur Lage der Nation zu einem Modernisierungskurs. "Das Prestige und der nationale Wohlstand können nicht ewig von den Errungenschaften der Vergangenheit bestimmt werden" , sagte der russische Präsident in seiner Jahresbotschaft vor Spitzen aus Politik, Wirtschaft und Kirche im Kreml.

Die Notwendigkeit für Veränderungen wurde laut Medwedew besonders in den vergangenen Monaten offensichtlich. "Die globale Finanzkrise betrifft alle, aber in Russland hat sich die Rezession tiefer erwiesen als in den meisten anderen Ländern" , sagte Medwedew. Die Schuld dafür sei jedoch nicht im Ausland zu suchen, Russland habe seine Hausaufgaben einfach nicht erledigt.

Wie schon in seinem Artikel Russland vorwärts, der vor zwei Monaten im Internet veröffentlicht wurde, prangerte der Kreml-Chef die Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von Öl und Gas, die Rückständigkeit der Industrie und Korruption an. Er schlug vor, mehr in die Infrastruktur zu investieren, die Verbreitung von Informationstechnologie zu forcieren, die Ausbildung zu verbessern, Spitzenkräfte aus dem Ausland anzulocken, die Energieeffizienz zu erhöhen und den Staatseinfluss in der Wirtschaft zurückzudrängen.

Das meiste davon ist schon aus Medwedews Artikel bekannt, konstatierte Alexej Makarkin, Vize-Direktor des Zentrums für Polittechnologien. Etwas konkreter fielen hingegen Medwedews Vorschläge zur Reform des Wahlrechtes aus. So sollen Parteien, die zwar nicht in der Staatsduma vertreten sind, aber in den regionalen Parlamenten, von der Verpflichtung, vor Regionalwahlen Unterschriften sammeln zu müssen, befreit werden. Irgendwann, meinte der Präsident, sollte überhaupt auf die Unterschriftensammlung als Voraussetzung für die Zulassung von Parteien zu Wahlen verzichtet werden.

Für Galina Michailowna, der Geschäftsführerin der Oppositionspartei Jabloko, ist dies allerdings zu wenig konsequent. "Was bedeutet irgendwann?" , fragt sich Michailowna und fügt hinzu: "Für eine erfolgreiche Modernisierung des Landes ist es notwendig, Konkurrenz auf politischer und dann auf wirtschaftlicher Ebene zu schaffen."

Makarkin hält die Wahlrechtsreform für eine Antwort auf die Proteste der Opposition gegen mutmaßliche Manipulationen der Regionalwahlen. "Medwedew möchte, dass die Wahlen demokratischer ablaufen und damit eine größere Legitimierung erhalten" , sagte der Politologe. Doch dies wird nicht einfach werden. Es ist immer leichter, die Gesetze als die Praxis zu ändern, so Makarkin.

Aufhorchen ließ Medwedew in seiner mehr als eineinhalbstündigen Rede auch mit der Idee, die elf Zeitzonen in Russland reduzieren zu wollen. Sie würden ein effizientes Management des Landes verhindern. Michailowna kann auch diesem Vorschlag wenig abgewinnen: "Man kann doch nicht regeln, wann die Sonne aufgeht." (Verena Diethelm aus Moskau, DER STANDARD/Printausgabe 13.11.2009)