Jeder Fünfte über 65 leidet an Arterienverkalkung, und nur die wenigsten ahnen etwas davon. Dabei hat die Krankheit verheerende Folgen, wie Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum jetzt belegen konnten: Egal, ob die Arterienverengung Beschwerden verursacht oder nicht, sie verdoppelt das Risiko eines vorzeitigen Todes und schwerer Herz-Kreislauf-Vorfälle wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Das ist das Ergebnis der Fünfjahres-Nachuntersuchung der seit 2001 laufenden Studie getABI (= German epidemiological trial on ankle brachial index, ABI), in die 6.880 Patienten eingeschlossen wurden. Die Forscher fordern aufgrund ihrer alarmierenden Ergebnisse nachdrücklich die Einführung der einfachen ABI-Untersuchung als Standard für ältere Patienten beim Hausarzt.

Identifikation von Hochrisikopatienten

Die Arterienverkalkung (Atherosklerose) mit ihren Folgen Herzinfarkt und Schlaganfall ist nach wie vor die häufigste Todesursache in den Industrienationen: Über die Hälfte aller Deutschen stirbt an einem dieser Ereignisse. Zur Identifizierung von Risikopatienten werden zahlreiche Methoden diskutiert und angewandt, darunter Risikoscores, die aufgrund der Konstellation von Laborwerten, Alter und Risikofaktoren berechnet werden (z.B. PROCAM oder ESC-Score), Ultraschalluntersuchungen der hirnversorgenden Arterien oder EKG-Untersuchungen des Herzens. Deren Vorhersagewert für Tod oder Gefäßkomplikationen ist jedoch eingeschränkt.

Einfach und aussagekräftig

Dass es sowohl einfacher als auch aussagekräftiger geht, zeigt die getABI-Studie, die seit 2001 unter Koordination von Hans Joachim Trampisch, Leiter der Abteilung für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie der Ruhr-Universität in Bochum, läuft. Bei der ABI-Untersuchung wird der arterielle Blutdruck am Arm gemessen - eine Standarduntersuchung in der Hausarztpraxis - und mit dem Blutdruck der Knöchelarterien verglichen. Ist der Druck am Knöchel beim liegenden Patienten niedriger als der Druck der Armarterien (Knöchel-Arm-Index < 0,9), gilt dies als Beweis für Einengungen der Beinarterien durch Atherosklerose. Der Patient leidet an der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, kurz PAVK. Dabei sinken der Blutdruck und der Blutfluss hinter dem Hindernis ab. Ist ein Bein betroffen, finden sich weitere minderdurchblutete Gefäßabschnitte auch in anderen Körperregionen: Die Erkrankung tritt in den meisten Fällen generalisiert auf, also auch in den hirnversorgenden Arterien und Herzkranzgefäßen, wo sie oft zu Infarkten führt.

Volkskrankheit PAVK

Für getABI wurden 6.880 Patienten über 65 in 344 Hausarztpraxen untersucht und werden seitdem beobachtet. Eine Verengung der Beinarterien fanden die Wissenschaftler bei 20,9% aller Patienten ab 65 Jahren - ein alarmierend hoher Wert. Nur 8,7% wussten von der Erkrankung, weil sie Beschwerden beim Gehen hatten (Schaufensterkrankheit).

Nach fünfjähriger Studienzeit wurde nun die Zahl der Todesfälle und schweren Gefäßkomplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall oder Gefäßverschlüsse in den Beinen ausgewertet. Ergebnis: Beobachtet man 1.000 Patienten je ein Jahr lang, tritt bei Patienten ohne PAVK in 27,2 Fällen ein solches Ereignis ein, bei Patienten mit asymptomatischer PAVK in 60,4 und bei Patienten mit symptomatischer PAVK in 104,7. Das heißt, dass das Risiko für einen Patienten ohne PAVK pro Jahr knapp drei Prozent beträgt, und für einen symptomatischen PAVK-Patienten mit zehn Prozent gut dreimal so hoch ist.

Besonders alarmierend: Der Unterschied zwischen symptomatischen und asymptomatischen Patienten kommt allein dadurch zustande, dass in der statistischen Auswertung auch die Revaskularisierung (eine Operation zur Durchblutungsverbesserung, die bei Schmerzen durch Arterienverengung durchgeführt wird) als Gefäß-Ereignis gewertet wurde. Rechnet man nur die Todesfälle und ernsthaften Kreislauferkrankungen ein, unterscheidet sich das Risiko zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant. "Es spielt also keine Rolle, ob die PAVK noch 'stumm' ist, oder schon Beschwerden bereitet: In jedem Fall ist das Risiko eines vorzeitigen Todes oder eines Herzinfarktes oder Schlaganfalls etwa verdoppelt", erklärt Trampisch.

Forderung nach Etablierung des ABI als Screeninginstrument

"Bei älteren Hausarztpatienten muss die Gefäßuntersuchung der Beine Standard sein, und der ABI ein unverzichtbarer Bestandteil dieser Routine", fordert Curt Diehm, Kardiologe und Angiologe aus Karlsbad-Langensteinbach und zweiter Prüfleiter der Studie. "getABI zeigt das hohe Risiko von Patienten, die eine noch stumme PAVK haben - auch deren Risikofaktoren müssen intensiv behandelt werden." Ist das Risiko eines Patienten einmal bekannt, kann der Arzt verschiedene Maßnahmen ergreifen, um es zu senken. Dazu gehören zum Beispiel die Gabe von Blutfettsenkern, Blutverdünnern und die Einstellung des Blutdrucks. "Die Studie kann dazu beitragen, die Versorgung der Patienten mit PAVK bzw. Atherosklerose zu verbessern", zieht Trampisch Bilanz. (red)