Politologe Gärtner über die FPÖ: "Es werden beliebig Feindbilder kreiert und Sündenböcke geschaffen."

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Gärtner, Reinhold
Politik der Feindbilder
Rechtspopulismus im Vormarsch

192 Seiten
Ladenpreis: € (A,D) 21,90; SFr 38,50
Erscheinungstermin: September 2009
ISBN: 978-3-218-00798-6
Im Verlag Kremayr & Scheriau

Foto: Kremayr & Scheriau

"Politik der Feindbilder" heißt das neue Buch des Innsbrucker Politikwissenschaftlers Reinhold Gärtner. Anekdotenhaft erläutert er darin - nicht wissenschaftlich, sondern "für politisch interessierte Leser" - die Facetten des österreichischen Rechtspopulismus von Jörg Haider bis Heinz-Christian Strache. Wohlstand schütze die österreichische Gesellschaft nicht vor Fremdenfeindlichkeit, behauptet Gärtner im derStandard.at-Interview. Über das Versagen der anderen Parteien und der Medien im Zusammenhang mit den Rechtspopulisten sprach er mit Lukas Kapeller.

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derStandard.at: Dass FPÖ-Chef Jörg Haider seine Anti-Ausländer-Politik für Österreich erfand, ist 20 Jahre her. Sein Erbe Heinz-Christian Strache zieht seit fünf Jahren von Wahlsieg zu Wahlsieg. Das Land hat sich daran gewöhnt. Warum jetzt ein Buch über Rechtspopulismus?

Gärtner: Das ist eine gute Frage. Es ist sehr viel publiziert worden zu dem Thema. Das zeigt, wie zeitlos das Phänomen ist. Nach wie vor kann man mit Rechtspopulismus erfolgreich Politik machen, und das wird sehr intensiv versucht. Haider und Strache sind nur die Spitze des Eisbergs.

derStandard.at: Und abseits der Parteien?

Gärtner: Wenn man weg von den Parteien auf das allgemeine Klima schaut: Es ist für Schwarze in Österreich teilweise lebensgefährlich, auf Polizisten zu treffen. Das sind so Sachen, die eigentlich dramatisch sind, in Österreich aber nicht genug gesehen werden.

derStandard.at: Wie kann das sein? Im globalen Vergleich hat Österreich eines der höchsten Bildungs- und Sozialniveaus.

Gärtner: Die Produktion von Feindbildern hat sehr viel mit dem Selbstbild zu tun. Die Gesellschaft identifiziert sich über das, was der andere nicht ist. Das wird emotionalisiert, und die FPÖ merkt, dass sie damit sehr viele Stimmen gewinnen kann. Das ist auch in anderen reichen Ländern so. Bei der EU-Wahl hatten Rechtspopulisten auch in den Niederlanden, in Finnland, in Norditalien Erfolg. Reichtum allein verhindert das noch nicht.

derStandard.at: Die FPÖ reüssiert mit dem Erzeugen von Feindbildern: Migranten, Islam, EU. Was prädestiniert ein Thema oder eine Personengruppe für ein ideales Feindbild?

Gärtner: Die Gruppen sind fast beliebig austauschbar. Jahrtausendelang dienten die Juden als Sündenböcke, als Feindbilder. Seit 9/11 sind das mehr die Moslems oder der Islam. Es gibt Unmengen anderer Feinbilder. Oft sind es benachteiligte Gruppen wie Roma und Sinti.

derStandard.at: Am Abend der Nationalratswahl 2008 sagte Wiens Bürgermeister Michael Häupl: "Ich vergleiche die Rechtspopulisten ganz bewusst mit den Nazis. Dieselben, die früher gesagt haben, die Juden seien an allem schuld, sagen heute, die Ausländer seien an allem schuld." Ist das zu kurz gegriffen?

Gärtner: Von der Systematik her hat er völlig Recht. Es werden beliebig Feindbilder kreiert und Sündenböcke geschaffen. Ich würde aber auf keinen Fall die Nazis mit Rechtspopulisten gleichsetzen. Das wäre eine Verharmlosung der Nationalsozialisten.

derStandard.at: Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, meint, die FPÖ sei "das wirkliche Problem". Für die Gesellschaft seien also weniger die Agitatoren mit Glatze und Springerstiefeln, sondern eher die Rechtsaußen-Proponenten im gesellschaftlich tolerierten Bereich gefährlich.

Gärtner: Genau, denn in dem Moment wird das Feindbild salonfähig. Man darf aber nicht eine Gruppe gegen die andere ausspielen, denn ich halte auch die Glatzköpfe, die Sie ansprechen, für problematisch. Aber von politischen Parteien wird das ganze salonfähig gemacht. Denken wir an Dieter Egger, den Chef Vorarlberger FPÖ. (Egger hatte im Landtagswahlkampf antisemitische Aussagen getätigt, Anm.).

derStandard.at: In Ihrem Buch fordern Sie, den Rechtsaußen-Fraktionen nicht das Monopol auf heikle Themen zu überlassen, sondern diese selbst zu besetzen, und zwar nicht, indem man rechtspopulistische Parteien imitiere, "sondern politische und gesellschaftliche Problembereiche anspricht und versucht, Lösungen zu finden". Machen das die Parteien ausreichend?

Gärtner: Nein. Im August 2008 habe ich mit meinem Buch begonnen. Damals im Nationalratswahlkampf plakatierte die ÖVP "Es reicht. Ohne Deutschkenntnisse keine Zuwanderung". Das sind Parolen, die man auch bei den dezidiert rechten Parteien erwarten kann. Da wird eher versucht, die noch rechts zu überholen. Was waren die Reaktionen der SPÖ nach der Niederlage bei der Landtagswahl in Oberösterreich? "Wir müssen härter werden in der Ausländerpolitik." Von SPÖ und ÖVP würde ich mir mehr Position erwarten: Unsere Migrationspolitik sieht so und so aus. Und nicht immer die FPÖ und das BZÖ rechts zu überholen.

derStandard.at: Sind das nicht auch wahltaktische Überlegungen, dass die ÖVP dem Wahlpublikum auch jemanden bietet wie Innenministerin Maria Fekter, die gerne von Schlepperbanden, die "Tausende hereinschleppen", spricht und Polizei-Ermittlungen gegen bestimmte Ethnien gutheißt?

Gärtner: Ja, aber diese Überlegungen sind eher kontraproduktiv. Das müssten die Parteien mittlerweile schon wissen. Dieses bestimmte Reservoir wird von anderen Parteien abgeholt. Die SPÖ hat in den 90er Jahren an die Grünen und an die FPÖ verloren. Den einen war die SPÖ zu restriktiv, die sind zu den Grünen. Den anderen war sie zu lasch oder zu liberal, die gingen zur FPÖ. Die SPÖ macht auch jetzt eine ähnliche Politik. Die Parteien sollten einmal versuchen, eine Position zu vertreten. Sie sollten sagen: Wir brauchen Migration aus dem und dem Grund, und so stellen wir uns das vor. Es gibt kein Bekenntnis zu einer Notwendigkeit. Solange es dieses Bekenntnis nicht gibt, geht es so Schritt für Schritt weiter.

derStandard.at: Es ist wohl die Angst vor der Wahlniederlage...

Gärtner: Ja, aber können die beiden Parteien mit der jetzigen Position etwas gewinnen? Gerade mit dieser Politik verlieren SPÖ und ÖVP ja. Wie hat es denn die letzten Wahlen ausgesehen?

derStandard.at: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben?

Gärtner: Genau. Wenn das Kaninchen vor der Schlange erstarrt, ist das der erste Schritt zum Gefressenwerden.

derStandard.at: Sie schreiben, die "Kronen Zeitung" trage zu einem fremdenfeindlichen Meinungsklima bei. Müssen sich nicht auch sogenannte Qualitätsmedien den Vorwurf gefallen lassen, den Aufstieg der Rechtspopulisten eher begleitet als verhindert zu haben?

Gärtner: Ja, sehr wohl. Jörg Haider auf dem Cover von Magazinen hat den Verkauf gefördert. Auch Qualitätsmedien springen da teilweise auf. Was ich generell bei Medien kritisiere, ist das ständige Spiel mit der Ethnizität. Wenn jemand türkisch oder türkisch-stämmig ist, wird sofort ein Verweis gemacht - auch wenn es nichts zur Information beiträgt. Menschen werden sehr stark auf die Ethnizität reduziert, und das verlagert sich in die Köpfe.

derStandard.at: Bieten Medien den Rechtspopulisten also die Bühne, die sie brauchen?

Gärtner: Das auch. Medien erwarten von Politikern oft mehr, als diese liefern können. Sie wollen klare Ja-Nein-Antworten. Das geht aber nicht immer, weil - wie Fred Sinowatz schon erkannt hat - die Dinge manchmal kompliziert sind.

derStandard.at: Obwohl die FPÖ in vielen Medien keinen guten Stand hat, schlägt sie erfolgreiche Wahlen. Warum?

Gärtner: Zum Teil, weil das ganz verschiedene Zielgruppen sind. Es ist dennoch legitim und auch notwendig, dass Medien einfach Position beziehen. Bagatellisieren ist auch nicht der richtige Weg. Was teilweise bei Online-Medien unerträglich ist, sind die ganzen Postings.

derStandard.at: Sie beschäftigen sich nicht nur mit Rechtspopulismus, sondern auch mit Extremismus. Es gibt ja auch unverdächtige Stimmen, die sich gegen das bestehende Verbotsgesetz aussprechen. Der Staat sei ohnehin stark genug, um ein paar Rechtsradikale auszuhalten. Ein Verbot spreche diesen Radikalen eine Bedeutung zu, die sie ohne Verbot gar nicht bekämen, argumentieren Kritiker.

Gärtner: Das Verbotsgesetz ist aus einem bestimmten historischen Grund entstanden, denn die einzige Zeit, in der Österreich im 20. Jahrhundert nicht existiert hat, war die NS-Zeit. Man kann über das Verbotsgesetz diskutieren. Aber was stört am Verbotsgesetz? Es wird damit vielen einfach klar gemacht: Bis dahin und nicht weiter. Man kann das schon diskutieren, aber wenn jene vom Ring Freiheitlicher Jugend das abschaffen wollen, hat das natürlich andere Gründe: damit sie dann offen herausplappern können, was sie sonst hinter vorgehaltener Hand machen.

derStandard.at: Seit rund zwei Jahrzehnten beschäftigen Sie sich wissenschaftlich mit Rechtsextremismus, Neonazismus, Rechtspopulismus. Ermüdet Sie das Themenfeld nicht manchmal?

Gärtner: (lacht) Ich mache ja auch andere Sachen. Es ist manchmal ein wenig ernüchternd. Ich leite in Tirol zum Beispiel seit zehn Jahren Kurse für rechtsextrem auffällige Jungendliche, die vom Gericht zu mir geschickt werden. Das kann wieder sehr spannend sein.

derStandard.at: "Rechtspopulismus im Vormarsch", heißt es schon im Untertitel Ihres Buches. Wie weit kann der Vormarsch gehen: Könnte der nächste oder übernächste Kanzler wirklich Strache heißen? Oder ist das auszuschließen?

Gärtner: Auszuschließen ist einmal überhaupt nichts - theoretisch. Praktisch halte ich es für sehr unwahrscheinlich. Er könnte Strache heißen, wenn er 50 Prozent plus eins schafft, also 92 Mandate im Nationalrat. Wenn nicht, wird es schwierig werden. Da kommt es auf die anderen Parteien an. Denn es steht ja nirgendwo, dass eine Partei unter 50 Prozent mitregieren muss. (derStandard.at, 10.11.2009)