"Wer geht gerne in ein Land, wo es eine negative Grundeinstellung gegenüber Zuwanderern gibt?", fragt Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung Wien

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Österreich habe großen Nachholbedarf in der Zuwanderungspolitik, kritisiert Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung (IV) Wien. Die Einstellung, aber auch das Fremdengesetz müssten zuwanderungsfreundlicher werden. Und alle, die in Österreich leben, sollten hier arbeiten dürfen  - auch AsylwerberInnen. Die Fragen stellte Maria Sterkl.

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derStandard.at: Die Industriellenvereinigung will gezielt Arbeitskräfte ins Land holen. Um welche Branchen geht es?

Kapsch: Fachkräfte fehlen in fast allen Branchen. Wobei ich gleich sagen möchte: Uns geht es ums Gesamtthema Migration. Und dazu gehört die Integration genauso wie das Asyl. Diese Dinge sind untrennbar miteinander verbunden.

derStandard.at: Wie hängen Asyl und Arbeitsmigration zusammen?

Kapsch: Es migrieren auch viele hoch qualifizierte Asylwerber. Und was tun wir mit ihnen? Wir lassen sie warten, warten und warten, zum Teil über Jahre, und lassen sie in dieser Zeit nicht berufstätig sein. Man drängt diese Asylwerber in eine Situation, in die sie nie kommen wollten. Man frustriert diese Menschen, und man nimmt sich ein Potenzial. Áußerdem führt es dazu, dass die bereits hier angesiedelten Menschen meinen, das seien alles Nichtstuer und Schmarotzer. Was ja nicht stimmt.

derStandard.at: Sie fordern, dass Asylsuchende hier arbeiten dürfen.

Kapsch: Richtig. Wer hier lebt, sollte auch hier arbeiten dürfen.

derStandard.at: Wobei das Gesetz sagt: Selbst dann, wenn Asylsuchende in Österreich wieder arbeiten dürfen, dann kriegen sie nur jene Jobs, für die sich keinE ÖsterreicherIn findet.

Kapsch: Diese Bestimmung halte ich für absolut unsinnig. Wir leben in einer globalen Welt. Auch die IV ist ja nicht dafür, grundsätzlich Tür und Tor zu öffnen. Aber wir sind gegen Quoten, und für ein Punktesystem: Jemand, der bestimmte Kriterien erfüllt, hat automatisch Anspruch auf Zuwanderung.

derStandard.at: Bei so einem Punktesystem wären Deutschkenntnisse kein Muss. Hingegen will Innenministerin Maria Fekter nur jene zuwandern lassen, die vorher einen Deutschtest ablegen.

Kapsch: Natürlich sollte jemand, der sich hier ansiedeln möchte, langfristig Deutsch lernen. Aber Sie werden wohl kaum einen hochkarätigen Biotechnologen mit einem Deutschkurs vor der Einreise quälen können. Das ist völlig absurd. Abgesehen davon beginnt man bei uns in großen Organisationen auch endlich, Englisch zu sprechen. Wir sollten uns als Österreicher da auch bei der Nase nehmen: Wir sind wirklich nicht die Profis bei Fremdsprachenkenntnissen.

derStandard.at: Es gibt sehr viele Menschen in Österreich, die neben Deutsch auch perfekt Bosnisch, Serbisch, Kroatisch oder Türkisch sprechen. Warum nützt die Exportwirtschaft diese Ressource so wenig?

Kapsch: In der gesamten Integrationsdebatte gibt es zu wenig Offenheit. Offen müssen beide Seiten sein, aber beginnen sollten die Menschen ohne Migrationshintergrund. Man muss den Menschen, die hier zuwandern, zeigen, dass sie willkommen sind. Wenn Sie gleich merken, Sie sind nicht willkommen, dann werden Sie sich nicht integrieren wollen.

derStandard.at: Inwiefern erfüllt die Innenministerin die Funktion dieses Willkommen-Heißens?

Kapsch: Ersparen Sie mir bitte eine Antwort.

derStandard.at: Schadet die Polemik der "Ausländerwahlkämpfe" der Attraktivität des Wirtschaftsstandort Österreich?

Kapsch: Das wirkt sich massiv aus. Wer geht gerne in ein Land, wo es eine negative Grundeinstellung gegenüber Zuwanderern gibt? Ich kann von einem Hochqualifizierten nicht erwarten, dass er gerne zu uns kommt. Da haben wir großen Nachholbedarf.

derStandard.at: War die Migrationspolitik der vergangenen Regierungen wirtschaftsfeindlich?

Kapsch: Sie war sicher nicht wirtschaftsfreundlich.

derStandard.at: Wem schmeichelt man mit dieser Politik, wenn nicht der Wirtschaft?

Kapsch: Wir wissen, dass Strache und die FPÖ, wie auch vorher Jörg Haider, dieses Thema missbrauchen. Und jetzt glauben halt andere, sie müssen sich ebenso auf dieses Thema draufsetzen, um ihm Paroli bieten zu können. Aber sie tun das nicht in einer positiven Besetzung, sondern ebenfalls in einer negativen Besetzung des Begriffs. Aber das wird nicht funktionieren.

derStandard.at: Wie könnte eine positive Kampagne für Österreich aussehen?

Kapsch: Ich glaube nicht, dass eine Kampagne reichen wird. Die Einstellung der Menschen in diesem Land muss sich ändern. Und das Fremdenrecht.

derStandard.at: Reicht es, nur bei der Arbeitsmigration anzusetzen? Es wird kaum nützen, zwar einen Diplomingeneur aus Ankara einzufliegen, aber dann seine Mutter ein halbes Jahr aufs Besuchsvisum warten zu lassen, wie das jetzt passiert.

Kapsch: Richtig, und derzeit geht es ja noch weiter: Da kann es zwar sein, dass der Hochqualifizierte herkommen darf, aber seine hochqualifizierte Frau, die ebenfalls hier arbeiten will, darf das nicht. Das ist eine einzige Absurdität.

derStandard.at: Wenn die Quoten abgeschafft werden, wird die Zuwanderung aus Drittländern steigen.

Kapsch: Das ist die Frage. Wir wissen es nicht. Schließlich hat ja auch die letzte EU-Erweiterung nicht dazu geführt, dass wir eine Explosion an Zuwanderern gehabt haben. Warum sollte ein Slowake, der sich in der Slowakei wohl fühlt, nach Österreich kommen? Wir haben ja eher das Problem, dass Menschen aus vielen Ländern gar nicht mehr nach Österreich kommen wollen. Die gehen gleich nach Großbritannien oder in die USA, weil sie dort erstens mehr verdienen, und vor allem eher willkommen sind als bei uns.

derStandard.at: Nach Wien dürfen heuer maximal 1300 unselbstständige Schlüsselkräfte zuwandern - und da sind die Familienangehörigen eingeschlossen. Bei den Selbstständigen sind es überhaupt nur 80. Viel ist das nicht.

Kapsch: Natürlich ist das nicht viel, und natürlich kann es mehr werden. Aber die Frage ist: Tut's uns weh?

derStandard.at: Um wie viel mehr Zuwanderung würden wir brauchen, damit der Bedarf des Arbeitsmarktes gedeckt ist?

Kapsch: Das variiert. In der Krise sind es weniger als in der Hochkonjunktur. Das darf aber nicht dazu führen, dass man in der Krise die Grenzen dicht macht.

derStandard.at: Dennoch würden in der Krise vermehrt ArbeitsmigrantInnen ausgewiesen werden: Die Aufenthaltstitel werden ja zeitlich begrenzt vergeben und sind an eine Jobzusage geknüpft. Das heißt: Kein Job mehr, kein Aufenthaltstitel mehr.

Kapsch: Nein, das wäre ja verrückt. Wer hierher gewandert ist und eine Aufenthaltsgenehmigung hat, der soll auch eine Arbeitsberechtigung haben. Ich kann doch nicht Menschen, die sich hier angesiedelt haben, wieder ausweisen - nur, weil man in eine Krise kommt.

derStandard.at: Sie würden Hochqualifizerten sofort einen Aufenthaltstitel geben, unabhängig davon, ob sie eine Jobzusage haben oder nicht. Wer ist denn hochqualifiziert? Geht's da nur um AkademikerInnen?

Kapsch: Nein, überhaupt nicht. Es geht um Kriterien. Ab einer bestimmten Punkteanzahl kann man zuwandern und erhält automatisch eine Arbeitsbewilligung - und die ist nicht befristet.

derStandard.at: Die Industriellenvereinigung fordert ein Integrationsstaatssekretariat. Welche Aufgaben hätte dieses Regierungsmitglied, die von Maria Fekter heute nicht abgedeckt werden?

Kapsch: Es geht darum, das Thema Sicherheit vom Thema Migration zu trennen. Es ist ein Irrglaube, zu meinen, unsere Problematik mit Migranten resultiere aus Diebstählen.

derStandard.at: Österreich scheint besonders große Probleme zu haben, Kinder niedrig qualifizierter Eltern im Bildungssystem zu fördern. Das trifft Migrantenfamilien besonders stark, da die traditionelle Arbeitsmigration ja nachfrageseitig eine niedrigqualifizierte war. Wie kann verhindert werden, dass hier eine Schicht von Zweite-Klassen-MigrantInnen entsteht?

Kapsch: Das geht nur übers Bildungssystem. Wir wissen ja, wie die Absolventen und Absolventinnen gewisser Schulen in Wien sind. Wir haben ja in Wahrheit über 100.000 Analphabeten in Österreich. Die können zwar lesen, aber den Sinn des Gelesenen nicht verstehen. Und das sind bei Gott nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund. (Maria Sterkl, derStandard.at, 8.11.2009)