Ein Mann mit Vergangenheit versucht, sich der Gegenwart zu stellen: Helmut Berger als Gustav Tritzinsky in Peter Kerns "Blutsfreundschaft".

Foto: Stadtkino

... bleibt dabei aber etwas realitätsfern. Der große Helmut Berger brilliert dennoch.

Wien - Axel (16) aus dem mütterlichen Haushalt vor dem prügelnden Hausfreund geflüchtet, holt sich seine warme Mahlzeit bei einer Wiener Suppenküche. Die rechtsradikalen Schläger, die dort randalieren, rekrutieren ihn umgehend. Im Zuge einer brutalen Initiation in ihre Neonazi-Clique wird Axel zum Totschläger. Er versteckt sich im Keller einer Wäscherei. Deren Besitzer, ein älterer schwuler Herr, nimmt ihn auf.

So weit, so simpel. Aber doch auch kompliziert. Peter Kern, Schauspieler von Beruf und Filmemacher aus Passion, erzählt in seinem jüngsten Werk Blutsfreundschaft eine Geschichte, in der diese Gegenwart auf eine belastete Vergangenheit trifft. Wäschereibesitzer Gustav Tritzinsky hat als Hitlerjunge nämlich selbst Schuld auf sich geladen, indem er seinen Freund verraten hat. Helmut Berger, in seiner Generation neben Romy Schneider wahrscheinlich der einzige aus Österreich gebürtige Filmstar von internationalem Format, spielt ihn.

Konzentrierter Einsatz

Berger schenkt dem Film dabei Momente großer darstellerischer Konzentriertheit. Zugleich markiert er beiläufig einen uneinholbaren Abstand zu fast allen anderen Mitwirkenden. Deren Charaktere bleiben Chargen - Harry Lampl alias Axel einmal ausgenommen, der vor allem in Augenblicken größter Dramatik beeindruckt.

Die Erzählung ist in vielen Wendungen hanebüchen, holzschnittartig, und sie taugt nur oberflächlich als österreichisches Gegenwartssittenbild. Das Geschehen wirkt vielmehr zeitlos in Subkulturen (und fragmentarische Erinnerungen) entrückt: Im Wirtshauskeller, in dem die Neonazis Rechtsrock hören, und in der plüschigen Bar, in der man Tritzinsky zum Geburtstag ein Schlagerständchen schenkt, gehen die Uhren anders (oder stehen offenbar still).

Die, die viele lieber nicht wahrhaben beziehungsweise immer noch nicht anerkennen wollen, bleiben dort, wo sie eh keinen stören. Beide Sphären scheinen die äußere Realität nicht zu berühren: Eine Realität, in der die neuen Nazis meistens keine Springerstiefel tragen und rechtspopulistische Politik im Mainstream angekommen ist. Eine Realität, in der Homosexualität in heimischen Spielfilmproduktionen nicht vorkommt - das sagt wohl etwas über diese Filme aus, aber es spiegelt anno 2009 nicht mehr unbedingt eins zu eins die gesamtgesellschaftliche Verfasstheit wider.

Insofern spekuliert Blutsfreundschaft mehr mit seinem Politischsein - und imprägniert sich damit auch gegen Kritik -, als dass er wirklich politische Sprengkraft hätte. Dass die Plakatierung der Filmposter kürzlich mit Verweis auf rechte Inhalte abgelehnt wurde, bleibt ein Skandal. Und zwar vor dem Hintergrund genau jener gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Lage, die der Film selbst auch nicht recht anzufassen weiß.

An einer entscheidenden Stelle von Blutsfreundschaft, als sich alles schon zugespitzt hat, marschiert ein kleines Grüppchen Parolen-bewehrt an einer Kreuzung auf. Zur Verwunderung der Recken schlägt das die anvisierten Opfer - die "Ausländer", die dritte marginalisierte Gruppe, die in Blutsfreundschaft weitgehend stumm zum Einsatz kommt - jedoch nicht in die Flucht. Bald steht man einander Auge in Auge gegenüber.

Ausgerechnet das kleine Skinheadmädchen - die im und vom Film gedemütigtste von allen - tut dann den einen entscheidenden Schritt, aber nicht einmal diese Szene bekommt sie: Der Moment, der eine eindringliche Lektion in Sachen Solidarisierung und Handlungsspielraum geben könnte, wird buchstäblich zerschnitten. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.11.2009)