Man traut seinen Augen kaum. Russlands Präsident Dmitri Medwedew hat die Massenmorde unter Diktator Josef Stalin (geschätzte 12,5 Millionen in den 1920er- und 1930er-Jahren) scharf verurteilt. Für Unterdrückungen gebe es "keinerlei Rechtfertigung", schrieb Medwedew zum Gedenktag für die Opfer politischer Repression am vergangenen Freitag in seinem Blog.

Die Stalin-Verehrung erlebte in der Amtszeit Präsident Wladimir Putins, der als Regierungschef nach allgemeiner Ansicht weiter der eigentliche Machthaber ist, eine Renaissance. Organisationen wie Memorial gehören zu den wenigen Kräften, die aktiv eine schonungslose Aufarbeitung der Stalin-Ära betreiben.

Es waren Mitarbeiter dieser Menschenrechtsorganisation, die 2002/2003 hunderte Interviews mit Angehörigen von Familien führten, die den Stalin-Terror er- und überlebt haben. Auf Basis dieser Gespräche schrieb der britische Historiker Orlando Figes sein Buch "Die Flüsterer". Es ist ein Monumentalwerk, dessen Bedeutung mangels einer adäquaten russischen Geschichtsschreibung noch unterstrichen wird.

Ebenfalls anhand von Lebensgeschichten und persönlichen Schicksalen schildert der renommierte russische Journalist Waleri Panjuschkin die politischen Verhältnisse im heutigen Russland. In seinem Buch "Die Nichteinverstandenen" stellt er die größeren und kleineren Helden und Heldinnen der Opposition im Putin'schen Russland vor. Wie er das tut, das rückt ihn in die Nähe der großen russischen Erzähler. Bedrückend und berührend - ein kleines Meisterwerk. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 3.11.2009)