Bischof Bünker: "Politik und Religion sind nicht zu trennen."

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Was ist für Sie persönlich wichtiger: Die Gesetze Ihrer Religion oder die Gesetze des österreichischen Staates?" Was würden Sie auf eine solche Frage antworten?

Ich meinerseits bin als Evangelischer von tiefen religiösen Überzeugungen geprägt und aus ihnen heraus politisch engagiert. Da gibt es kein "oder", keinen Gegensatz. Es sind genau meine religiösen Überzeugungen, die mein Eintreten für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einer pluralistischen Gesellschaft begründen und auch verlangen.

Die zu Beginn zitierte Frage stammt aus einer jüngst veröffentlichten Studie mit dem Titel Integration in Österreich, die im Auftrag des Innenministeriums erstellt wurde. Sie ist unter dem Stichwort "Integrationsstudie" auf der Website des Ministeriums abzurufen. Da geht es über mehrere Seiten auch um das Verhältnis von Religion und Politik, wobei folgende Typologie verwendet wird: Den eher säkularen Menschen stehen die überwiegend religiös-politischen gegenüber. Erstere bejahen in großer Mehrheit den demokratischen Rechtsstaat und die Trennung von Religion und Politik, die zweiten hingegen wollen zumindest teilweise religiöses Recht ins staatliche Recht implantieren und meinen grundsätzlich, dass für sie ihre religiösen Überzeugungen eine größere Verbindlichkeit besäßen als staatliche Gesetze. Unterm Strich wird unterstellt: Je religiöser, umso schwieriger die Integration und umso bedenklicher für den säkularen Verfassungsstaat.

Die Verhältnisbestimmung von Religion und Politik ist im Christentum von Anfang an ein Thema. "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist; aber Gott, was Gottes ist", so antwortet Jesus auf die Frage seiner Gegner, ob es (religiös) erlaubt sei, die (staatlichen) Steuern zu zahlen. Wo wäre diese Antwort in der Typologie des Innenministeriums einzuordnen?

Für Evangelische hat sich folgende Szene tief im kollektiven Gedächtnis verankert: Da steht ein unbedeutender Mönch aus einer mitteldeutschen Kleinstadt vor den höchsten politischen Repräsentanten seiner Zeit. Er weigert sich, diese Autoritäten anzuerkennen und seine veröffentlichte Meinung zu widerrufen. "Hier stehe ich, ich kann nicht anders!", so Martin Luther am Reichstag von Worms 1521. Evangelische Freiheit beendet jede Untertanenschaft. Ein wichtiger Impuls für die Religionsfreiheit, die von vielen zu Recht als Kern der erst später - oft auch neben und gegen die Kirchen - entwickelten Menschenrechte eingeschätzt wird. Aber die Freiheit - darauf hat Martin Luther in seiner grundlegenden Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen hingewiesen - äußert sich weder in privater Abgeschlossenheit noch in politischer Enthaltsamkeit. Freiheit verwirklicht sich im selbstlosen Dienst an den Nächsten und dem Gemeinwohl. Also (auch) politisch. Der Glaube wirkt sich aus in der Liebe.

Religiöse Überzeugung im evangelischen Sinn drängt es notwendigerweise zur Gestaltung der Welt, sie ist ihrem innersten Wesen nach auch politisch.

Allerdings ist die Verhältnisbestimmung von Religion und Politik dabei sehr genau vorzunehmen. Denn es gilt zwei Gefahren zu vermeiden: Die eine besteht darin, dass Religion der Politik den Takt vorgibt bzw. die Inhalte vorschreibt. Wo immer das geschieht, haben über kurz oder lang die Anders- bzw. Nichtglaubenden einen schweren Stand im politischen Gemeinwesen. Als Beispiel erinnere ich an die Zeit des austrofaschistischen "Ständestaats" in Österreich, andere und aktuellere Beispiele lassen sich leicht nennen. Die andere Gefahr ist durch eine Politik gegeben, die sich der religiösen Inhalte und Symbole positiv oder negativ bedient und so den Anschein erweckt, mit einer Art "höherer Weihe" ausgestattet zu sein. Um auch dafür ein hausgemachtes Beispiel zu erwähnen: Die Verwendung des Kreuzes durch H.-C. Strache im Rahmen einer Kundgebung ist von den Kirchen und Religionsgemeinschaften als Missbrauch zurückgewiesen worden.

Für evangelisches Verständnis müssen die beiden Bereiche, Religion und Politik, voneinander unterschieden werden, um die beiden genannten Gefahren zu vermeiden. Aber zu trennen sind sie nicht! Die Verhältnisbestimmung ist also nicht so einfach, wie die Gegenüberstellung in der Studie des Innenministeriums glauben macht.

Weil die Weltzuwendung notwendigerweise aus dem Glauben erwächst, ermutigt die evangelische Kirche ihre Mitglieder, ihre Verantwortung für das Zusammenleben auch im öffentlichen Bereich wahrzunehmen und sich für die Schwachen und an den Rand Gedrängten einzusetzen. Nicht trotz, sondern wegen der Religion.

Zugleich erinnert die evangelische Kirche Politiker und Politikerinnen daran, dass gute Politik eine verlässliche ethische Grundlage benötigt, die dem politischen Handeln über Feuerwehraktionen und den nächsten Wahltermin hinaus Wirkung verleiht. Dass religiöse Überzeugungen - nicht allein, aber doch auch! - eine solche Grundlage im Bereich der Werte geben, steht für mich außer Frage.

Aber wenn religiös motivierte Menschen, die sich politisch engagieren, automatisch in die Nähe der Taliban und irgendwelcher fundamentalistischer gewaltbereiter Abtreibungsgegner gerückt werden, wird Religion zum Popanz. Gegen ein solches Bild kann ich als Protestant nur protestieren und frage mich, wie etwa Martin Luther und die anderen Reformatoren in den Augen des Innenministeriums dastehen würden, wenn man sich dort mit ihnen befasste? Aber wenn man sich mit ihnen befasste, würde ja Religion anders dargestellt. (Michael Bünker*, DER STANDARD Printausgabe, 31.10./01.11.2009)