Avocadoöl, Vitamin B12 und Wasser - mehr braucht es nicht, um hartnäckige Neurodermitis oder Schuppenflechte zu behandeln, verkündet ein Film, der vorvergangene Woche im ARD ausgestrahlt wurde. Die Rezeptur der vermeintlichen Wundersalbe machte im Internet rasch die Runde. Wenige Tage nach der Ausstrahlung war Vitamin B12 in Deutschland ausverkauft.

Als er die Zusammensetzung vor 15 Jahren schützen ließ, erwartete der Erfinder reich zu werden. Heute lebt er hochverschuldet und am Ende seiner Nerven in einer Schweizer Klinik. In der Pharmabranche ist Regividerm, wie das rosafarbene Avocadopräparat heißt, nur auf Ablehnung gestoßen. Keiner in der Branche habe mit dem preiswerten, aber wirksamen Mittel eigenen teureren Präparaten Konkurrenz machen wollen, lautet die steile These von Autor Klaus Martens, der seinen Film Heilung unerwünscht nannte.

Einen Tag nach der Ausstrahlung verkündete die Schweizer Firma Mavena, sie übernehme den Vertrieb. Ein von Martens angekündigtes Buch schnellte durch Vorbestellungen auf Platz drei der deutschsprachigen Bestseller bei Amazon. Hautkranke stürmten die Ordinationen. Auch Markus Dawid, Chefdermatologe am Wiener SMZ-Süd, hörte erstmals durch Patienten von Regividerm. Das Versäumnis hält sich in Grenzen. Studien, die seine Wirksamkeit belegen, gibt es nicht. Publiziert sind nur kleinere Versuchsreihen zur Verträglichkeit.

Medikament oder Medizinprodukt

Mavena strebt indessen gar keine Zulassung als Medikament an, sondern nur als Medizinprodukt. Ein Wirkungsnachweis wird dafür nicht gefordert. Dafür wird es in der Regel nicht von der Kasse bezahlt. Unter Neurodermitikern und Psoriatikern ist Selbstmedikation auf eigene Kosten und Risiko freilich gang und gäbe, so Dawid. Das Geschäft mit Nachtkerzenöl, Schwarzkümmelextrakt und Badesalzen blüht. Sogar Salbe aus Ringelblumen, deren Blütenstaub selbst auf gesunder Haut Reizungen auslöst, werde massenweise und zum Glück hochverdünnt geschmiert. Richtig ins Geld gehen spezielle Aquarien, in die Psoriatiker regelmäßig steigen, um sich die Plaques von Fischen abknabbern zu lassen. Wenigstens sei all das harmlos im Vergleich zu einseitigen Diäten, mit denen sich Neurodermitis-Patienten kurieren wollen.

Die PR-Falle

Nachdem anfangs auch seriöse Medien Martens' Geschichte übernahmen, gilt sein Film mittlerweile als mies recherchierter Schandfleck öffentlich-rechtlichen Fernsehens und PR-Coup für ein Produkt ohne durch Studien erwiesenen Nutzen. Angeführt wurde die Demontage des Beitrags von dem Medizinblog "Stationäre Aufnahme". In mehr als fünfzig Aktualisierungen ist unter anderem enthüllt, dass der von Martens als Kronzeuge bemühte Hautarzt in Wahrheit Allgemeinmediziner mit zweitem Standbein als Pharmaberater ist und eine im Film gezeigte Patientin dessen Arzthelferin verblüffend ähnlich sieht.

Regividerm ist nicht das einzige aktuelle Beispiel, wie Medien Heilmittel ohne belegten Nutzen hochjubeln und verzweifelte Patienten zur Selbstmedikation treiben. Ein anderes Beispiel: Baclofen, ein Arzneimittel aus der Gruppe der Muskelrelaxantien. Es ist der Ausgangspunkt für das Buch des Kardiologen Oliver Ameisen, der damit seine Alkoholsucht heilte und mit seinem Bericht in Frankreich die Bestsellerliste stürmte. Das Ende meiner Sucht liegt nun auch auf Deutsch vor (Kunstmann Verlag München, € 20,50).

Olivier Ameisen berichtet über seine Trinkerkarriere und gescheiterte Therapien. Durch Zufall entdeckte er Baclofen. Als Arzt hatte er Zugriff. Seit mehr als sieben Jahren nimmt er es ein und schwört, es habe ihm das Leben gerettet. In Frankreich eifern ihm viele nach. Sie fordern das vermeintliche Wundermittel von ihren Ärzten oder verschaffen es sich übers Internet. Den Glauben, dass man sich gerade so gut selbst behandeln kann, schürt Ameisen durch seine eigene minutiöse Schilderung.

Angstlöser für Alkoholabhängige

Ameisen tönt, er könne dank seiner täglichen Pille ein Glas Wein trinken und mühelos auf das zweite verzichten. Nicht nur mit solchen Aussagen löst er in der Fachwelt Skepsis aus. Weil Baclofen im Gehirn den GABA-B-Rezeptor aktiviert, wirkt es angstlösend. Damit ist der Wirkmechanismus aber nur für jene klar, die, wie Ameisen selbst, Ängste mit Alkohol bekämpfen. Selten ist der auf einer psychischen Grunderkrankung aufbauende "sekundäre Alkoholismus" allerdings nicht und bei Frauen sogar der Regelfall, so Alfred Uhl vom Wiener Anton-Proksch-Institut.

Auf der Station für Alkoholabhängige am AKH Wien wird Baclofen bereits seit einigen Jahren ausschließlich ängstlichen und depressiven Patienten verordnet. Mit guten Ergebnissen, berichtet Stationsleiterin Henriette Walter: "Für einen routinemäßigen Einsatz ist es zu früh, weil die Evidenz fehlt." Die unbefriedigende Studienlage erklärt Ameisen mit dem abgelaufenen Patentschutz. Kein Pharmaunternehmen stehe bereit, die Behandlung hunderter Patienten zu finanzieren.

Beweise statt Vermutungen

Tatsächlich laufen mittlerweile Studien in mehreren Ländern. Öffentliche Geldgeber dafür fanden sich auch schon vor dem medienwirksamen Auftritt des Franzosen. Selbst wenn sich die Baclofen-Therapie bewährt, würde Ameisen zu Unrecht als Entdecker gefeiert. Die Pionierarbeit leistet seit zehn Jahren Giovanni Addoloratos Forschergruppe in Rom. Aber was sind schon randomisierte, doppelverblindete Studien, die objektiv Wirksamkeit nachweisen, gegen das aufrüttelnde Schicksal eines braungebrannten Arztes, der marktschreierisch eigentlich nur sich selbst vermarktet.
Was einem hilft, muss nicht allen guttun: Mit Einzelschicksalen wird ohne Evidenz fahrlässig Medizin-Marketing gemacht. (Stefan Löffler, DER STANDARD Printausgabe, 02.11.2009)