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Krankenstandstage reduzieren und damit "Präsentismus", also bloßes Erscheinen am Arbeitsplatz, zu erzeugen, bringt gar nichts.

Foto: AP/Michael Probst

Vorbildliche Arbeitnehmer erscheinen am Arbeitsplatz - egal ob grippig, depressiv oder anderwertig geschwächt. Zähne zusammenbeißen, schließlich ist ja jeder ersetzbar, und Arbeitsplätze sind nicht sicher. Das ist die eine Seite. Auf die andere Seite gehören Faulenzerdebatten, Krankfeiern und Empörung über Kosten der Fehlzeiten. Krankenstandstage (durchschnittlich 12,5 in Österreich) sind ein heißes Thema, und Unternehmen sind auf die eine oder andere Art bemüht, diese Kosten zu senken.

Masochistisches Gebaren

"Ein gesundes Unternehmen braucht einen gesunden Krankenstand", wirft Stefan Bayer, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Betriebsarzt im Feuerfest-Konzern RHI, in die Debatte ein und warnt: Es als größten Gewinn für die Firma zu sehen, keine kranken Mitarbeiter zu haben, sei "schlichtweg falsch". Denn vor allem in Krisenzeiten, bei erhöhtem Druck, zeige sich ein Phänomen, das noch nicht gut beforscht, aber allgegenwärtig sei: der Präsentismus. Also physische Präsenz am Arbeitsplatz, ohne Leistung zu bringen, oder, wie die Arbeitspsychologie definiert: am Arbeitsplatz zu erscheinen, obwohl der Gesundheitszustand es nicht erlaubt oder die normale Leistungserwartung durch den angeschlagenen Zustand nicht erfüllt werden kann. Masochistisches Gebaren, sagt Bayer, das mit Erschöpfung, Stress, Motivationsverlust eng zusammenhänge - und dem Unternehmen enormen Schaden zufüge. Da sich Präsentismus schwer messen lasse und finanzielle Folgen kaum abgeschätzt seien, werde viel zu wenig Aufmerksamkeit darauf gerichtet. Zahlenmaterial liegt derzeit nur für die USA vor.

Abwesenheitsrate versus Präsentismus

"Eine Senkung der Abwesenheitsrate kann also nicht als positiv betrachtet werden, wenn sie eine Erhöhung des Präsentismus zur Folge hat. Bei einem Absenzenmanagement mit Maßnahmen, die auf Druck und Kontrolle basieren, besteht aber die Tendenz zu erhöhtem Präsentismus", so Bayer. Die Situation für das Unternehmen bessert sich folglich nur scheinbar.

Verminderte Konzentrationsfähigkeit von Mitarbeitern, fasst Bayer neutral, was schon berechnet ist, koste Unternehmen zwölf bis 25 Prozent des gesamten Personalaufwandes. Die Kosten für Präsentismus könnten mit bis zu neun Prozent des Personalaufwandes angenommen werden. Bayer rät nicht nur zu adäquaten Krankenstandsrückkehrgesprächen, sondern vor allem auch zur Prävention. Krankheiten, die auf ungesunden Lebenswandel zurückzuführen sind, seien die wahren Kostenverursacher.

Es gehe um "nachhaltiges Absenzenmanagement, das auf Optimierung am Arbeitsplatz durch Bilanzgespräche aufbaue. Dadurch könne sowohl Absentismus als auch Präsentismus „optimal behandelt werden", sagt Bayer. Aktives Wiedereingliederungsmanagement gehöre ebenso dazu wie tiefgreifende präventive Maßnahmen. Der RHI-Konzern arbeite dazu mit dem Kompetenzzentrum für Humanvermögen zusammen. (Karin Bauer, DER STANDARD, Printausgabe, 31.10./1.11.2009)