Foto: Picturedesk/Ullstein

Bild aus dem Asterix-Band "Die Odyssee"  (Bd. 26): Man grüßt bereits anno 1981 alte Serienbekannte – ein Hoch auf die Multikulturalität

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Dabei amüsiert gerade das Wissen im Voraus: Ganz Gallien? Liegt in Wahrheit überall.


Asterix entstand wie die Marseillaise: mit einem Geistesblitz, aus einem Guss. Aus Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit wissen wir, wie der Hauptmann Roguet de Lisle in einer kurzen Nacht 1792 sein Kriegslied zur Verteidigung der Revolution dichtete: die spätere Nationalhymne.

Der Zeichner Albert Uderzo (82) schildert in seiner eben erschienenen Autobiografie, wie die Asterix-Serie entstanden ist. "Nenn mir die wichtigsten Perioden der französischen Geschichte" , habe ihn René Goscinny aufgefordert. "Na, da hätten wir die Steinzeit..." Schon wendet sein Teampartner ein: "Vielleicht die Gallier?" Der Inhalt einer planetar verbreiteten Comics-Serie war geboren: Ein Dorf leistet im letzten Winkel Galliens Widerstand gegen Cäsar, bewohnt von einem Dorfchef, einem Druiden, einer Nervensäge von einem Barden sowie einem geflügelten Helden, dessen Name auf -ix enden sollte, wie bei "astérisque" , dem typografischen Sternchen.

15 Minuten brauchte es also für die Geburt der längstdauernden "Bande dessinée" , die 320 Millionen Alben in über hundert Sprachen verkauft hat. "Wenn wir gewusst hätten, was da auf uns zukommt, hätten wir nicht ein paar Minuten, sondern ein paar Wochen mit dem Konzept verbracht, und das Resultat wäre sicher weniger gut geworden" , meinte Uderzo vor wenigen Tagen bei der Vorstellung eines Jubiläumsbandes zum 50. Geburtstag des unbeugsamen Galliers.

Am 29. Oktober 1959 erschien in der Jugendzeitschrift Pilote erstmals ein Asterix-Abenteuer; zwei Jahre später kam das erste Album Astérix le Gaulois heraus. Goscinny, der kleine, pfiffige Denker, und Uderzo, der rundlich-gemütliche Zeichner, vollbrachten gemeinsam 24 Bände, bis der Sprechblasentexter 1977 an Herzversagen starb. Es war, als hätte Obelix seinen Kumpel verloren.

Seither führt Uderzo das Unternehmen allein in dem zuvor noch gemeinsam gegründeten Verlag. Er publiziert nur noch alle fünf Jahre ein Album, erlaubte aber auch drei Spielfilme, ob deren Albernheit sich Goscinny im Grabe umgedreht haben muss. Längst beargwöhnen die Fans, dass Uderzo den feinen Humor von Goscinnys Frühwerken durch einen plumpen Hinkelsteinhumor ersetzt habe.

Sie täten gut daran, wieder den ersten Band aus dem Büchergestell hervorzukramen. Asterix der Gallier war gewiss nicht besser als die Mehrheit der letzten Bände. Die ersten Asterix-Figuren waren unausgegoren: Obelix trat kaum in Erscheinung, Idefix erst nach mehreren Bänden. Die Scherze ließen zu wünschen übrig; und der Plot des ersten Bandes - Miraculix will die Römer mit einem Haarwuchsmittel bezwingen - amüsiert kaum.

Auch wer noch im tiefen 20. Jahrhundert erstmals las, dass die Römer spinnen, fiel nicht gerade vom Hocker. Der Witz wird erst richtig zum Kalauer, wenn ein Wildschwein im 26. Band auf unsere zwei Gallier stößt und starr vor Schreck ausruft: "Die Spinner!"

Aber eben: Während solche Running Gags erst mit der Zeit ihre Wirkung entfalteten, war das Setting von Beginn weg klar. Mit dem Dorf und seinen streitbaren Einwohnern, mit ihrem Widerstand gegen die Römerstandarte hatten Goscinny/Uderzo die Essenz gefunden. Das fiktive Gallierdorf ohne Namen steht für alle 36.000 Gemeinden Frankreichs. Friedlich qualmt Kaminrauch aus den Strohdächern, aber schon auf der zweiten Seite des Bandes löst sich die Idylle meist in wüste Kabalen auf.

Ist das nun eine Parodie auf die französische Volksseele, die ebenso schnell in Rage gerät, wie sie beim gemeinsamen Becher Versöhnung feiert? "Latürnich!" , würde Obelix brüllen. Jene afrikanischen Schüler, die in den kolonialen Geschichtsbüchern Frankreichs noch in den 1960ern den Vers über "unsere Urahnen, die Gallier" auswendig lernten, kennen solche Verhältnisse: Das Gallierdorf ist überall.

Goscinny war aber nicht nur Franzose, sondern auch der Sohn polnisch-ukrainischer und jüdischer Eltern; Uderzo hat seinerseits italienische Eltern. Deshalb wagten die beiden, was keinem Franzosen jemals eingefallen wäre: Sie machen sich über sich selbst lustig. Im Barden Troubadix nehmen die Autoren die Chanson-Kultur auf die Schippe, in Majestix den Möchtegern-Chef, der auf dem Schild am Türrahmen scheitert, weil er eher darauf achtet, dass ihm der Himmel nicht auf den Kopf fällt.

Asterix wird gerne als Gegenprojekt zu den US-Superhelden präsentiert. Dabei lernten die Autodidakten Goscinny und Uderzo ihr Handwerk ausgerechnet an Disney-Figuren; der polnischstämmige Texter bewarb sich in New York gar (vergeblich) um Aufnahme in Disneys Zeichenfabrik. Mit Uderzo hatte er Anfang der 1950er zuerst die Figur des Indianers Umpah-Pah geschaffen. Vieles war schon vorhanden, der Résistance-Geist, die Kräfte, die Raufereien.

Aber erst Asterix traf ins Schwarze, indem er den Kloß, der den Franzosen seit der Kollaborationszeit im Hals steckt, mit seinem komplexlosen Klamauk befreite. Goscinny tat dies vielleicht unbewusst; ihm ging es nie um Politik, selbst wenn er die Pressekonferenzen de Gaulles verulkte.

Bewusst war ihm wohl auch nicht, welcher Geniestreich die Idee mit dem Zaubertrank war. Der 1,19 Zentimeter kleine Wicht Asterix macht aus dem eindringenden Imperium Rom Kleinholz - oder nicht doch eher aus den USA?

Der Kampf gegen Unterdrückung und Despotie ist generell die wichtigste universelle Botschaft, die vom revolutionären Frankreich ausgegangen ist. Sie erklärt zum Teil den erstaunlichen Umstand, dass Asterix weit über Frankreich hinaus Erfolg hat. Dabei erschweren die zahllosen Anspielungen die ausländischen Ausgaben beträchtlich. Die Übersetzer finden oft brillante Entsprechungen: Der deutsche "Majestix" trifft den Charakter des Dorfhäuptlings direkter als der originalfranzösische "Abraracourcix" . Nur bei dem stolzen Korsen, der seiner Schwester nicht einmal erlaubt, die Gallier beim Servieren anzuschauen (auf Deutsch: "Osolemirnix" ), versagt die Übersetzung vor Goscinnys Sprachwitz: Bei ihm nennt sich dass Original "Ocatarinetabellatchitchix" , was sich auf die Liedzeile "O Catarina bella" in Tino Rossis Hit Tchi-Tchi bezieht.

Asterix gehöre heute nicht mehr ihm, sondern den Lesern auf der ganzen Welt, meinte Uderzo unlängst. Deshalb wolle er vor seinem Tod selbst Autoren ernennen, die das Werk später weiterführen sollten. Vielleicht wäre es wirklich Zeit für ein allerletztes Bankett...
(Stefan Brändle aus Paris / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.10.2009)