Bild nicht mehr verfügbar.

Alexander Kluge

Foto: REUTERS/Wiegmann

Überlegungen zur Welt- und Machtplanung der USA in Zeiten von "Expertenkriegen": Der 2. Teil eines Gesprächs zwischen Alexander Kluge und Claus Philipp.


STANDARD: Sie sagen: "Weltmacht" - das gibt es auf dem Globus, vielfältig wie er ist, nicht. Eine intelligente Macht würde wissen, dass es Weltmacht nicht gibt. Wir sind hier, wenn wir die US-Regierung und ihre Berater betrachten, offenkundig auch mit nicht rationalen Prozessen konfrontiert.

Alexander Kluge: Alle, die ich aus den Thinktanks der US-Regierung kennen gelernt und mit denen ich in den letzten Wochen Gespräche geführt habe, würde ich zu keinem Zeitpunkt als bloß irrational bezeichnen. Sie sind interessengeleitet. Sie verkürzen den rationalen Standpunkt auf einen betriebswirtschaftlichen Standpunkt, auf das Eigeninteresse eines Landes oder vielleicht einer Rüstungsfirma. Aber sie sind nicht irrational.

Es ist auffällig, wie stark sie Entschlüsse schon vor anderthalb Jahren getroffen haben. Wie weit diese Entschlüsse von dem abgekoppelt sind, was wir die Meinung der Menschen, die demokratischen Grundströme, nennen. Es werden Expertenkriege in Gang gesetzt, über die nie abgestimmt werden konnte, weil sie Geheimwissen darstellen.

STANDARD: Ist es nicht möglich, dass die uninformierte Masse eher irrt als der "Experte"?

Kluge: Es gibt keine uninformierte Masse. Wenn ein Zuschauer ungläubig vor dem Fernseher steht, bleibt er kritisch. Wenn gesagt wird, dass Saddam Hussein in drei Tagen zu besiegen ist, und gleichzeitig gesagt wird, er sei eine Gefahr für die Welt, dann sieht jeder: Da ist ein Widerspruch enthalten. Dazu braucht niemand Spezialkenntnisse.

STANDARD: Wie haben Sie die Kontakte zu den Thinktank-Leuten herstellen können?

Kluge: Die sind auf Konferenzen tätig, wo alles, was derzeit auf der Welt vor sich geht, eins zu eins debattiert wird. Das sind intelligente Leute, gerade die Konservativen sind zum Teil blitzgescheit, aus Stanford, Harvard. Mit denen kann man sämtliche Einzelfragen rational diskutieren. Die Diskussion endet nur, wenn Sie ein Gesamtbild beurteilen wollen. Dann treffen Sie auf einen Patrioten, der die Diskussion plötzlich ablehnt.

Nehmen Sie einen Kerngedanken: Bismarck hat gesagt, Politik sei die Kunst des Möglichen, und daraus hat er abgeleitet, dass man keine Soldaten im Balkan einsetzen dürfe, und dass man sich mit Gegenden, die sich der Entscheidung entziehen, an die man nicht grenzt, an denen man keine elementaren Interessen hat, Südafrika beispielsweise, gar nicht erst beschäftigen sollte. Er war eigentlich das Gegenteil eines Geostrategen. Einer der jungen Außenpolitiker von 1914, Kurt Riezler, schrieb eine Dissertation über die Politik als Kunst des Unmöglichen. Er drehte das um und sagte: Wir kommen mit dem Möglichen gar nicht zurecht, wir brauchen das Unmögliche, was im 1. Weltkrieg bei Verdun vorgeführt wurde.

STANDARD: Das Unmögliche muss uns jetzt beispringen.

Kluge: Genau. Das ist nicht anders als in einem Religionskrieg gesprochen und führt immer zu einem absoluten Fiasko. Und diesen Gedankengängen begegnen Sie in der neuen Denkweise der USA auf Schritt und Tritt. Diese mitteljungen Leute aus den Thinktanks sagen, die USA dürfen sich im Bereich des Möglichen nicht einsperren lassen. Sie sagen, man muss aus diesem Gefängnis des Möglichen ausbrechen und das Unmögliche wagen. Dann kommt ein Rattenschwanz von Beispielen: Wir sind auch gegen Hitler eingeschritten usw. Aber das sind irreale Beispiele. Die können niemals aufs Morgenland übertragen werden oder auf andere Gefahren in der Welt.

STANDARD: Was ist der Hauptimpuls: Welche Gegenstrategie erfinden wir nach 9/11 - oder geht es hier schon weiter, um eine Rolle der USA in den kommenden Jahrzehnten?

Kluge: Ich glaube, es geht um Weiteres. Die sagen Ihnen: Die Militärs und alle Untergebenen denken in Form von Budgets, das sind Zweijahreszeiträume. Man müsse unter Inkaufnahme von Irrealität den 30-, 40-Jahre-Zeitraum ins Auge fassen und überlegen: Wo stehen die USA, wo steht mein Vaterland 2040? Was geschieht inzwischen in China, was ist in Taiwan los, können wir Pakistan oder den Iran bis dahin einfach unbeeinflusst lassen? Hier gibt es einen politisch-architektonischen Impuls. Wir bauen die Wirklichkeit des Planeten neu auf.

Das hat noch nie funktioniert. Oswald Spengler hat den Untergang des Abendlandes ins Auge gefasst und die Verzweiflung, die darin steckt, dass der Mensch sterblich ist, dass große Kulturen sterblich erscheinen und Europa untergehen wird - sie führte auf der Generalstabsebene zu der Katastrophe vom 1. August 1914. Oder zu 1939. Bei den Nationalsozialisten war die gleiche Untergangsstimmung im Gange: Ehe wir untergehen, wollen wir noch einmal die große Schlacht wagen. Und diese Ehe zwischen Verzweiflung und dem Glauben, eine Großmacht könne ihre Macht konkret in fremden Gebieten einsetzen: Das ist das Gefährliche, das in unserer Welt im Moment rumort. Da ist der Teufel tätig.

STANDARD: Darüber erzählen Sie auch in einem Buch, das sie gerade fertig stellen.

Kluge: Allerdings nicht mit dem Akzent, wie schlimm alles ist, sondern dass es in den objektiven Verhältnissen, in den Irrtümern, bei sich verwirrenden Horizonten, sehr viele Auswege gibt, dass die Wirklichkeit und die Menschen klüger sind als die Verhältnisse. Davon bin ich überzeugt. Jeder Schrecken ist löchrig wie ein Schwamm.

Nehmen Sie mal zum Beispiel, was jetzt gerade, und das ist keine Erfindung von mir, in Westpoint, in der Militärakademie geübt wird. Ein Examensthema für junge US-Generalstäbler, die Schlacht von Carrhae. Da ist der reichste Unternehmer Roms, Mitglied des Triumvirats Cäsar-Pompeius-Crassus, dem gehören alle Häuser in den Vorstädten von Rom. Er lässt sich zum Konsul ernennen und marschiert durch die Wüste des Irak mit seinen Legionen und wird von den Parthern vernichtet. Zum Schluss wird sein Kopf von den Wüstenkriegern in einem Theater dem Publikum vorgeführt.

Das wird jetzt von jungen US-Offizieren studiert. Sie werden aus einer historischen Erfahrung heraus lernfähig gemacht. Man kann im Grunde von einer Unmenge an Erfahrung, die der Menschheit innewohnt, zehren, sie ist sogar angenehm lesbar, wenn man sie nicht erleben muss. In der Hinsicht haben wir Arche Noahs von Erfahrung in uns. Krisen wie die jetzige fordern uns in dieser Hinsicht heraus. Der erste Teil dieses (gekürzten) Interviews: "Weltmacht" - das gibt es nicht. Die ungekürzte Version wird, gemeinsam mit neuen Erzählungen von Alexander Kluge, nächste Woche im Literaturmagazin "Volltext" publiziert. (DER STANDARD, Printausgabe vom 31.3.2003)