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Eifriger Zuhörer: Kanzlerin Merkel erklärt dem künftigen Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), wo es langgeht.

Foto: AP/Kai-Uwe Knoth

"Da! Da ist er!" Kurz vor elf Uhr herrscht am Dienstag auf der Pressetribüne des Bundestags Aufregung. Kameras klicken, Hälse recken sich. Frank-Walter Steinmeier (SPD) wurde im Plenum erspäht. Doch der gescheiterte Kanzlerkandidat, der jetzt die Fraktion führt, sorgt nicht gleich für ein "G'schichterl" - er verirrt sich bei der ersten Sitzung nicht, sondern schafft es, sofort seinen Platz zu finden.

Es ist ja auch recht überschaubar geworden im Sektor der SPD. Sie ist die einzige der fünf Fraktionen, die geschrumpft ist. 222 Mandate hatte sie vor der Wahl, jetzt sind es nur noch 146. Das hat auch Auswirkungen auf die Platzverteilung. Statt wie bisher fünf bekommt die SPD nur drei Plätze in der ersten Reihe. Diese ist begehrt, weil die Abgeordneten dort oft von TV-Kameras "eingefangen" werden.

Politiker, die eben noch wichtig waren, müssen jetzt nach hinten ausweichen. Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sitzt ebenso ganz hinten wie Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Nicht einmal einen Platz mit Tischchen haben sie. Ob das nicht ziemlich deprimierend sei, wird SPD-Generalsekretär Hubertus Heil später gefragt. "Wir wollen weiterhin auf den Sachverstand unserer Minister zurückgreifen", antwortet er diplomatisch.

Steinmeier darf als Fraktionschef natürlich in die erste Reihe und hat dort nebst Tisch sogar ein eigenes Telefon. Er grinst ein wenig verkniffen. Doch ihm geht es deutlich besser als vielen parlamentarischen Mitarbeitern. Bei der SPD haben 250 ihren Job verloren. Es gibt für sie sogar eine eigene Jobbörse, manche wollen sich in den anderen Fraktionen bewerben.

Bedarf hat die FDP. Ihre Abgeordnetenschar wuchs von 61 auf 93 Mitglieder, und immer wieder betonen Mitarbeiter stolz, dass die Fraktionssitzung jetzt in einem viel größeren Raum stattfinden müsse, weil der alte zu klein sei. FDP-Chef Guido Westerwelle sitzt im Plenum auch noch in der ersten Reihe. Doch es ist das letzte Mal. Ab dem heutigen Mittwoch wird er als Außenminister auf der Regierungsbank Platz nehmen, die an diesem Dienstag noch leer bleibt.

Eröffnet wird diese erste Sitzung vom 73-jährigen Ex-Forschungsminister Werner Riesenhuber (CDU). Der Alterspräsident versucht jenen 200 der 622 Abgeordneten, die zum allerersten Mal hier sind, Mut für die schwierigen Zeiten zu machen. Man könne als Politiker viel bewirken, erklärt er. Man denke an das Waldsterben, gegen das viele gekämpft hätten. Riesenhuber: "Und wer redet heute noch davon?" "Wir!", schreit Grünen-Fraktionschefin Renate Künast laut und erntet viele Lacher.

"Harte Opposition" haben SPD, Grüne und Linke angekündigt. Doch von Kanzlerin Angela Merkel werden sie gar nicht beachtet. Sie flaniert entspannt durchs Plenum und begrüßt Politiker ihrer Koalition, besonders herzlich den wiedergewählten Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU).

Aber außerhalb des Parlament grummelt es. Länder und Kommunen fürchten aufgrund der schwarz-gelben Steuersenkungspläne Ausfälle in Milliardenhöhe und wollen sich das nicht bieten lassen. Ab Mittwoch muss sich Merkel damit beschäftigen. Da ist sie neue Kanzlerin. Am Dienstag ist sie als "alte" Regierungschefin von Bundespräsident Horst Köhler entlassen worden - wie alle anderen Kabinettsmitglieder auch. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 28.10.2009)