Polzer:"Das Festival ist eklatant unterbesetzt - an der Peinlichkeitsgrenze. Ich hoffe, dass der Mut zum Risiko bleibt."

Foto: Regine Hendrich

Wien - 70 Veranstaltungen an 20 Locations, 80 TV-Produktionen über Neue Musik beim "Televisionen" -Schwerpunkt, dazu fünf Projekte im Kinder- und Jugendprogramm: Gemessen an diesen Zahlen müsste es Wien Modern blendend gehen. Auch die Komponisten-Porträts klingen vielversprechend: Robert Ashley, eine Schlüsselfigur der US-Avantgarde, ist ebenso vertreten wie der norwegische Experimentalmusiker Ole-Henrik Moe. Und aus der heimischen Szene sind ebenfalls Grenzgänger am Werk: Bernhard Gander, der sich von Heavy Metal oder Madonna inspirieren lässt, Eva Reiter, die die Klangwelten alter und elektronischer Musik verschmilzt, und Philipp Quehenberger, der Geräusch- und Tanzorgien fusioniert.

Dennoch überraschte Berno Odo Polzer damit, dass er nach dem heurigen Festival und einer zehnjährigen Tätigkeit nicht mehr zur Verfügung stehe. Dem Standard sagte der künstlerische Leiter von Wien Modern dazu: "Zehn Jahre sind eine lange Zeit, und ich hatte das Bedürfnis nach neuen Herausforderungen. Vor dem Hintergrund der strukturellen und finanziellen Situation, wo sich eine Änderung trotz intensiver Bemühungen nicht abzeichnet, war für mich die Entscheidung allerdings leichter."

Absolut eingespielt

Die Frage, ob es Irritationen mit dem Konzerthaus gegeben habe, dessen Infrastruktur Wien Modern nutzt, verneint Polzer: "Die Zusammenarbeit ist absolut eingespielt. Die Eigendynamik eines Festivals ist aber eine andere als die eines das Jahr über spielenden Konzertveranstalters. Die Kernproblematik liegt darin, dass Wien Modern mit zwei fixen Mitarbeitern personell eklatant unterbesetzt ist - im internationalen Vergleich fast an der Peinlichkeitsgrenze. Wenn sich das nicht bald ändert, ist das Festival in ernster Gefahr. Die Frage ist, was Wien da will: Die Stadt kann nicht gleichzeitig ein internationaler Player in der Neuen Musik sein wollen und sein wichtigstes Festival in Gefahr bringen, deutlich an Profil zu verlieren."

Harte Arbeit an Entspannung

Für die kommenden gut drei Wochen - ein ganzer Monat war ob der seit 1998 nicht mehr angepassten Subventionen nicht mehr realisierbar - ist Polzer freilich guter Dinge. Er kann sich dabei auf ein interessiertes Publikum stützen, das am Rand der Veranstaltungen heuer in zwei Lounges im Café Heumarkt und im Brut Konzerthaus in lockerer Atmosphäre abhängen kann: "Wir arbeiten bewusst daran, dass sich hier Entspannung breitmacht. Die Neue Musik ist von einem eigenartigen Nimbus des Komplexen, umgeben, steht aber anderen zeitgenössischen Kunstformen in ihrer Relevanz um nichts nach. Mir ist ein angenehmer Rahmen wichtig. Vieles tut sich ja nicht nur in den Konzerten, sondern beim Austausch zwischen den Hörern davor und danach."

Obwohl Wien Modern in Polzers Programmen so stark an den Puls ganz aktueller Strömungen gekommen ist wie nie zuvor, indem man etwa in der "philiale" im Gartenbaukino die internationale DJ-Crème aufspielen lässt, wurde auch Raum für die großen Komponisten der jüngsten Vergangenheit geschaffen. In diesem Jahr gibt es "Retrospektiven" für Edgar Varèse und Iannis Xenakis: "Die meisten Ressourcen gehen natürlich in die Musik der Gegenwart. Ich bin aber überzeugt, dass es wichtig ist, auch die Musik der Fünfziger- bis Neunzigerjahre wieder zu hören. Wenn sich der klassische Konzertbetrieb darum kümmern würde, könnten wir uns auf das Jetzt konzentrieren. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass es da fantastische Stücke gibt, die neuen Kompositionen an Aktualität nicht nachstehen."

Die aktuelle Frage zu seinem designierten Nachfolger Matthias Lošek, der aus dem Büro des Wiener Kulturstadtrats Andreas Mailath-Pokorny kommt und unter Insidern nicht gerade als Neue-Musik-Fachmann gilt (und der dem Standard nicht für ein Interview zur Verfügung stand), möchte Polzer nicht kommentieren: "Ich war in die Entscheidungsfindung nicht eingebunden und will dazu gar nichts sagen, außer dass ich Matthias Lošek und Wien Modern das Beste wünsche - und dass ich hoffe, dass Offenheit, Mut zum Risiko und die Fokussierung auf Inhalte weiterhin im Vordergrund stehen werden. Das liegt mir am Herzen." (Daniel Ender/DER STANDARD, Printausgabe, 28. 10. 2009)