Verschiedene Interpretinnen: "Funky Fräuleins. Female Beat, Groove, Disco, Funk in Germany 1968-1978" (Bureau B/Hoanzl 2009)

Coverfoto: Bureau B

"... and then there's Evelyn Künneke's ridiculous 'Kikilala Hawaii', too kitsch even for me!" urteilte ein französischer Easy Listening-Blogger. Ja, haste Pech gehabt in dem Fall, wennste den Text nicht verstehst. Ist aber auch irgendwie ausgleichende Gerechtigkeit: Wieviel Qualität entgeht den internationalen LiebhaberInnen des Nouvelle Chanson, weil sie die wortspielerischen Texte nicht verstehen und nur die zuckrigen Arrangements beurteilen können? (Und wer jetzt empört schnauft, weil er seine eigene perfekte Frankophonie verallgemeinert, soll sich mal in die Schlange bei der Kopfhörerausgabe einreihen, wenn bei einem heimischen Filmfestival wahlweise ein französisch- oder ein englischsprachiger Film ohne Untertitel läuft: da sind die Längen doch recht unterschiedlich.)

Jedenfalls: Gerade auf den Text kommt's beim schaurig-schönen Lied von Evelyn Künneke an. In den Strophen raunzt die 2001 verstorbene Sängerin, die auf einzigartige Weise Schlagerwelt und Subkultur in sich vereinte, vom tristen Leben in einem dunklen, morschen Mietshaus, in dessen Korridoren Kinder verschwinden, nach denen keiner mehr fragt; die Nachbarn schmeißen eine Party zur Rückkehr ihres Jüngsten aus dem Knast, ein Vogel hängt nach unten am Ast. Und ihr bleibt keine andere Zuflucht, als hilflos den Palmenzweig anzuglotzen, der über der Spüle hängt, und sich zu den Hula-Klängen des Refrains mit einem sedierenden Stuss-Mantra wegzuträumen: A Kikilala Hawaii Papaya Huschhusch Honolulu Aloa-e Ananas ... bis ans Sterbebett. Morbider sind selbst Ludwig Hirschs "Dunkelgraue Lieder" nicht gewesen.

18 Stücke vereint der Sampler "Funky Fräuleins" aus dem Hause Bureau B, mittlerweile die erste Adresse in Sachen Aufarbeitung deutschsprachiger Musikgeschichte, auf einer Stunde Spieldauer. Und legt mit "Sagen Sie, Frau Zimmermann" der österreichischen Schauspielerin Topsy Küppers, die lange Zeit in Wien eine Freie Bühne betrieb, auch gleich einen Kickstart hin. Im Sixties-Sound mit Schmetterbläsern geht's textlich noch recht hausfräulich los, und zwar mit: Sagen Sie Frau Zimmermann, wo lassen sie waschen ... gefolgt von kochen ... [scheint sich zu einem stinknormalen Neid-Lied über den besser funktionierenden Haushalt der Nachbarin zu entwickeln] ... dann jedoch wo lassen Sie foltern ... [verdutztes Innehalten beim Anhören] ... und schließlich: Wo lassen Sie töten? Mein Mann putzt schon sein Gewehr, ich muss schneller sein als er. Huch. - Ist nicht ganz überraschend, dass das keine Lieder waren, die in der Schlagerparade ganz oben standen.

In unterschiedlichen Graden des Vamptums gefallen sich unter anderem Heidelinde Weis mit "Hans Emmerich" (ihr wurde bei Bureau B  ja schon ein eigener, grenzgenialer Sampler gewidmet: "Der Supermann", hier der Rückblick) und Su Kramer mit "Die grüne Witwe". Das Ganze unter feministischen Gesichtspunkten zu betrachten könnte einen leicht aufs Glatteis führen - erlaubt sei allerdings der Seitenblick auf die ambivalenten Aspekte mörderischer Trashfilm-Queens der 70er Jahre. Ganz anders und unleugbar souverän kommt da Marianne Mendt daher, die in "Jeder hat an andern Schmäh" Jazz mit Carnaby Street-Pop verbindet, damit die "Glock'n" in Erinnerung ruft und l'amour auf do hob i scho gnua reimt. Wie einst über Kim Deal gesagt wurde: She walks the walk without feeling the need to talk the talk. - Was unweigerlich zur großen Hildegard Knef führt, hier mit "Ich wart auf die Nacht" vertreten. Düsterer Orgel-Sound und Wummerbass begleiten die Diseuse in die Selbstironie: Siehst mir nicht an, dass ich zu alt und zu zerlumpt auf Fischzug geh. Und das von einer Frau, die es sich nie nehmen ließ, ihre Chansons in modernistische Arrangements zu hüllen und sich damit beständig neu zu erfinden - man denke nur an den Funk von "Im 80. Stockwerk" oder die Kooperationen mit Extrabreit und Till Brönner. Hier sind's Gospel und die im Refrain losjaulenden Les Humphries Singers.

Textliche Auffälligkeiten einmal ausgeklammert: Auch die musikalischen Aspekte sind interessant, immerhin hatte Schlager zu jener Zeit noch viel mit Chanson und kaum schon etwas mit Dirndlkleidern und Lederhirnen zu tun. Natürlich sind auch einige Songs enthalten, bei denen man sich zwischendurch die Haare fönen gehen kann, ohne akustisch groß was zu verpassen. Aber nehmen wir Caterina Valente: Selbst ein Klassiker, interpretiert sie einen ebensolchen - nämlich "Blueberry Hill" -, lässt den Traum vom Lande Downtown gehen und macht ein flockiges Sixties-Schmuckstück daraus (das seltsamerweise in einem enervierenden Sirenenton endet). Aber die Frau wurde als Schlager- und Moderationstante ohnehin allzu lange unter Wert verheizt.

Ein an sich wenig bemerkenswertes, aber zeitgeschichtlich interessantes Stück ist Roberta Kellys "Sunburst": Munich Disco aus der Ära, als in München noch das legendäre Shopping-Schlachtschiff Schwabylon prunkte (wie konnte man das nur abreißen?!?); klingt irgendwie nach Goombay Dance Band auf Disco. Oder (schon wieder die Kombi Sängerin-Schauspielerin; das war in den 70ern stark angesagt) Heidi Brühl mit "Berlin", in dem sie - auf Englisch übrigens - auf Männersuche durch die Damals-noch-nicht-Hauptstadt zieht. Begleitet wird sie von Jericho-Posaunen, die aus Tom Jones' Background-Orchester gekidnappt worden sein müssen - jedenfalls wären sie laut genug, um mit seinem Tigergebrüll mitzuhalten. Der preisverdächtige Kommentar im Presse-Sheet dazu: Heidi's wildest moments.

Noch angesagter war seinerzeit offenbar das Musical "Hair": Enthalten ist nicht nur eine deutschsprachige Version von "Aquarius", vertreten sind auch diverse Sängerinnen aus deutschen Inszenierungen. Darunter Shirley Thompson mit "Goldene Insel" (oder so): So vollmundig lautmalerisch gekautes Deutsch hat man hierzulande seit den ersten "Cats"-Aufführungen nicht mehr gehört. Und wie schon Vanessa Williams sang: "Save the Best for Last" - best diesmal im Sinne von most jenseitig: "Funky Fräuleins" endet mit "Irre gut", einem auf Wienerisch geraunten Sex-Talk von Lotte Profohs & Maitre Leherb: Komm, du bist heiß, komm jetzt. - Nicht doch, niiicht doooch, wenn wer kooommt. Doch nicht daaa auf der Stiiiege. - Das ist doch irre gut. - Du machst mich waaahnsinnig. - Yep, es ist der pure Wahnsinn, von fiependen Hippie-Flöten untermalt und in ein langes Keuchen übergehend: Nicht nur Jane Birkin, Yoko Ono und Meg Ryan können Orgasmen simulieren.

... und mit einem leisen mechanischen Zirplaut beendet die CD ihre Drehung. Danach hätte auch wirklich nichts mehr kommen können.
(Josefson)