Wien - In Henrik Ibsens Gespenstern - so man sie vom Blatt spielt - herrscht der unerträglichste Gestank der Heimsuchung. Ein syphilitisch erkrankter Vater gibt seine weithin tragende Mitgift an den Sohn weiter: Schuld, sagt Ibsen, vererbt sich. Eine Mutter (Andrea Jonasson), die sehenden, tränenden Auges die Ausschweifungen des ihr Zugemuteten ertragen hat, schließt ihr paralytisches Kind (Florian Teichtmeister) in die Arme: Sie, die man ohnehin um ihr Lebensglück betrogen hat, mutiert zur Sterbebegleiterin.

Dazwischen hat Ibsen eine ganze Kleinstadt aus norwegischen Zündholzhäuschen gebaut: Alle sind sie ethisch-protestantisch. In allen diesen Lebenslügengebäuden müssen die Menschen dafür büßen, dass sie überhaupt auf der Welt sind. Im Wiener Josefstadt-Theater will man sich mit der Theaterdiagnostik von 1880 freilich nicht recht zufrieden geben.

Regisseur Janusz Kica hat seinen kongenialen Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer deshalb zur Errichtung eines Treibhauses angestachelt: In der Form einer Kuchenschnitte dreht sich unablässig ein von hohen Glasfronten eingeschreinter Wintergarten im Kreis, in dem Norwegens Regen gleichsam inwendig ein ungesundes Nässeklima erzeugt.

Auch sonst begnügt sich Kicas Regie mit der ganz allmählichen Anbahnung eines zum Ende hin erweichenden Geschehens.

Diese Gespenster sind deshalb geglückt, weil sie sich Zeit nehmen, ehe sie um ihr Leben spuken. Pastor Manders (Joachim Bißmeier) mimt im grauen Dreiteiler die Parodie der "protestantischen Ethik" : ein die Beine schicklich zusammenkneifender Tugendredner, dessen bis auf die Knochen heruntergemagerte Konstitution den lebenslangen Selbstdressurakt der Lustaustreibung erahnen lässt.

Aber erst die große Jonasson als Witwe Alving treibt Kicas ein wenig sklerotisches Regie-Konzept auch wirklich in eine (unbefriedigende) Gegenwart herüber: Dem heimgekehrten Malersohn gegenüber entfaltet sie ihr italienisches Timbre.

Und während Teichtmeister, ein verhuschter Syphilitiker von Anfang an, mit Rasierschaum Adam und Eva an die Glaswände sprüht, wird endlich die hennarote Tragödin sichtbar, die Kicas steifleinerne Bemühung transzendieren kann. Die Umarmung von Mutter und Sohn ist der rare Moment einer Atriden-Tragödie. Um ihretwillen ist dieser Abend groß. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 24./25./26.09.2009)