Gürsel Erel: "In der Türkei sind die Österreicher immer willkommen. Man ist nur traurig, dass die Österreicher die Türken nicht in der EU haben wollen."

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Österreich sei offener, gleichzeitig aber auch genügsamer geworden, sagt der gebürtige Türke Gürsel Erel. Er ist Chef des Reiseveranstalters Bentour und österreichischer Staatsbürger. Die Fragen stellte Günther Strobl.

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STANDARD: Sie sind in der Türkei geboren und erst später österreichischer Staatsbürger geworden. Was empfinden Sie, wenn Sie "Land der Berge, Land am Strome" hören?

Erdel: Eine Art Heimatgefühl, hier bin ich zu Hause.

STANDARD: Sie sind 1978 als 18-Jähriger von der Türkei nach Österreich gekommen. Wie hat sich das Land seither verändert?

Erdel: Österreich ist offener geworden, vor allem, was die Mentalität betrifft. Die zweite große Veränderung hat mit dem Fall der Ostgrenzen zu tun: Österreich ist Gott sei Dank keine Sackgasse mehr.

STANDARD: Sehen Sie Schwächen?

Erdel: Natürlich. Das Festhalten an Althergebrachtem etwa oder der Umstand, dass eine Generation zu einem Großteil vom Ererbten lebt. Wir haben an Produktivkraft eingebüßt. In vielen Bereichen der Wirtschaft haben wir unsere Kreativität verloren und nehmen an, was von außerhalb kommt, besonders aus Deutschland. Das finde ich sehr schade.

STANDARD: Österreichs Unternehmer wagen zu wenig, haben keine Ideen?

Erdel: Im produzierenden Bereich werden wir unter Wert geschlagen. Nur im Dienstleistungsbereich sind wir relativ gut. Das müsste nicht sein.

STANDARD: Woran liegt das?

Erdel: Es fehlt ein bisschen der Wille. Ich sehe im Wirtschaftsleben zu wenige, die operativ tätig sein möchten. Etwas mehr Kreativität und Fleiß würden uns gut anstehen.

STANDARD: Den deutschen Nachbarn wird häufig Selbstüberschätzung vorgeworfen. Sind wir im Gegenzug zu wenig selbstbewusst?

Erdel: Unser Pech ist, dass Österreich klein ist. Aber wir sind im Durchschnitt besser als die Deutschen; besonders in den letzten Jahren ist das deutlich geworden.

STANDARD: Die Klischees von Lipizzaner, Mozartkugel, Operette halten sich hartnäckig?

Erdel: Jedes andere Land würde sich solche Klischees wünschen. Aufgabe sollte nun sein, das noch mehr als bisher mit Modernem zu ergänzen. Das geschieht da und dort ja auch. Wir müssten uns nur ein wenig mehr bewegen, agiler sein und uns etwas mehr anstrengen.

STANDARD:  Sie sind auch jemand, der viel unterwegs ist in der Welt. Stimmt das Bild, das man im Ausland von Österreich hat, mit der Realität überein?

Erdel: Teils, teils. Es hängt davon ab, welches Österreichbild wir selbst haben. Aber im Großen und Ganzen ist Österreich positiv angesehen. Es gibt natürlich wie über jedes Land gewisse Vorurteile. Auffällig ist, dass in Deutschland im Zusammenhang mit Österreichern viel weniger oft von Ösi die Rede ist. Anscheinend haben sich die Werte verschoben. In der Türkei sind die Österreicher immer willkommen. Man ist nur traurig, dass die Österreicher die Türken nicht in der EU haben wollen.

STANDARD: Wo könnte, wo sollte Österreich in 20 Jahren stehen?

Erdel: Meine Vision ist ein Österreich nach Art der Schweiz, aber ohne den dort vorherrschenden Militarismus. Ein Land, wo drei, vier Sprachen nebeneinander geduldet werden, und wo man das als Bereicherung empfindet. Und neutral sowieso.  (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25./26.10.2009)