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Joye Carol Oates:
Hudson River
Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz
€ 25,60/608 Seiten
S. Fischer 2003

Foto: Archiv

Ist das gerecht? Du gehst in Salthill-on-Hudson am schwülen Nachmittag des vierten Juli aus dem Haus, zu einer Grillparty (...) und kommst drei Tage darauf als Asche in einer billigen Urne heim. Knöchelchen, Splitter und grobkörniges Pulver, alles in deinem Garten ausgekippt, verstreut und mit dem Rechen in der bröseligen Erde verteilt. Dünger für Unkraut." Gleich in diesen ersten Zeilen ihres dicken Romans lässt Oates ihren Helden sterben. Adam Berendt ist beim Versuch, ein kleines Mädchen aus dem Wasser zu retten, an Herzversagen gestorben, und mit seinem unvorhergesehenen Tod setzt er Tragödien und Komödien in Bewegung. Im sorgsam restaurierten Salthill wohnt nicht irgendwer. Hier residieren Banker und Immobilienhaie, Leute, die ihre Büros in Manhattan haben und ihre gelangweilten Ehefrauen in Luxusvillen und bei Charity-Events zurücklassen.

Berendt, geheimnisvoll, hässlich wie ein Neandertaler, aber ein einfühlsamer Zuhörer mit den höheren Weihen eines Künstlers, hat all diesen frustrierten Damen den Alltag verschönert. Er hat mit keiner von ihnen geschlafen, was seine ungeheure Attraktivität nur noch erhöht hat. Und nun ist Adam tot. Die Damen trauern, teils ein wenig unangemessen, was manchen Ehemännern verdächtig vorkommt. Einige Frauen versuchen, aus dem fade gewordenen Luxusleben auszubrechen. Mit teils grotesken Folgen. Oates ist wahrlich keine Menschenfreundin. Ihr Blick auf die menschlichen Schwächen ist geradezu bösartig, und diese Antipathie verteilt sie gleichmäßig auf Männer wie Frauen. Die Männer, die wie kranke Gockel zurück nach Hause flattern, nachdem sie von einer exotischen Masseurin beinhart ausgeplündert worden sind, oder ihren zweiten Frühling mit einem selbst gezeugten Kleinkind zur Schau stellen, kommen erbärmlich weg. Die Frauen, denen Oates besonders übel zu nehmen scheint, dass sie mithilfe teurer kosmetischer Prozeduren viel jünger aussehen, als sie sind, wirken mit ihren Posen als tragische Beinahe-Geliebte nicht minder lächerlich.

Oates' brachialer Zynismus macht vor nichts halt; sie dampft die Tatsachen des Lebens aufs Essenzielle ein, und das klingt dann so: "Ein Mann schießt seinen Samen in ein kleines Loch, durch das dann eine Frau neun Monate später eine Wassermelone mit Armen und Beinen herausdrückt." - Und diese Wassermelonen mutieren unversehens zu verzogenen und ausgesprochen widerlichen Teenagern. Hudson River, eine Art "Reigen" auf Amerikanisch kann man nur deshalb noch als Komödie bezeichnen, weil Oates am Schluss die halbwegs versöhnliche Kurve kratzt und wenigstens einige der Paare teils in neuer Kombination zusammenführt. Das hat zwar was Aufgesetztes, ist aber durch den fortwährenden Perspektivenwechsel des wortgewandten Erzählflusses sehr amüsant zu lesen. (DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.3.2003)