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Babylons Turm handelt von der Ringförmigkeit der Kommunikation.

Foto: Graz 2003
Foto: Graz 2003

Graz - Der erste Versuch, dauerhaft am Himmel zu kratzen, wurde den Menschen sogleich verübelt: So viel Nähe konnte ihr oberster Urheber nicht dulden. In ihrem Versuch, ein festes Tor zu seiner Ebene zu errichten, erkannte Gott Maßlosigkeit. Und also beschloss er, die Wagemutigen zu verwirren.

Gott diktierte die Vielfalt der Sprachen, und in ihrer neuen Entfremdung voneinander zerstreuten die Menschen sich über die ganze Welt. Kulturhistorisch und mit Abstand betrachtet, ist das nicht uninteressant: Die Strafdezentralisierung brachte Beachtliches hervor. Etwa Graz, das als Kulturhauptstadt bloß an die Spitze Europas strebt und dabei seinen Uhrturm sicherheitshalber nur verdoppelt, anstatt ihn - noch höher hinaus - aufzustocken.

Zudem erinnert Graz an den Ursprung der Vielfalt von Sprache und Schrift. Mit einer Großausstellung. Generaldirektor Wilfried Seipel hat sie mit gleich 120 Experten und 600 bedeutenden Leihgaben im Namen des Wiener Kunsthistorischen Museums für die Europäische Kulturhauptstadt 2003 besorgt. Kunstwerke, archäologische wie völkerkundliche Exponate und multimediale Installationen veranschaulichen die drei Teile der Ausstellung: "Turmbau zu Babel", "Sprachen", "Schrift".

Das Pfingstwunder, jene nur vermeintlich dem übermäßigen Genuss von Süßwein zuzuschreibende, in Wahrheit durch gottgesandte Feuerzungen bewirkte Orientierung im biblischen Sprachenwald, bildet mit dem "Turmbau" die Klammer der Schau auf Schloss Eggenberg.

Historiker, Archäologen, Ethnologen, Sprachwissenschafter und Biologen hat Wilfried Seipel versammelt, den "Turmbau" und damit die Vielfalt von Bezügen in allen Facetten darzustellen. Der erste Teil der Ausstellung widmet sich dem Motiv Turmbau, das Generationen von Künstlern dankbar annahmen.

Beginnend mit frühen Darstellungen, etwa der "Millstätter Genesis" aus dem 12. Jahrhundert, über mittelalterliche Schriften, Zeichnungen und Radierungen, bis hin zu Pieter Breughels d.J. "Turm zu Babel" oder Gemälden des Lucas van Valkenborch spannt der Kurator einen weiten Bogen zur Gegenwart, bis etwa zu Patrick Mimrams "Babel. TV" - einer Arbeit, in der der Turm bloß noch das Assoziationsgerüst für zeitgemäße Formen der Maßlosigkeit darstellt (zumindest was die Dehnbarkeit des Bildungs- und Informationsauftrages betrifft.)

Teil zwei der Ausstellung ist dem aktuellen Stand archäologischer Forschung gewidmet, zeigt, wie weit die Versuche der Rekonstruktion der realen babylonischen Stufentürme mittlerweile gediehen sind, welche Erkenntnisse bezüglich Architektur und vor allem Zweck der Bauten momentan vorliegen.

Schwerpunktmäßig bringt Seipel dabei die Ergebnisse der einzig österreichischen Grabung an die Öffentlichkeit: Die Universität Innsbruck gräbt und forscht im ehemaligen Mesopotamien im heutigen Irak. Der dritte Ausstellungsteil greift unmittelbar in die Gegenwart: Von den Mitteln sprachlicher wie schriftlicher Kommunikation, von anthropologischen wie neurologischen Voraussetzungen des Sprechens über die anschauliche Darstellung rezenter sprachwissenschaftlicher Modelle, Kryptografie, Quanten-Kryptografie, Kabbala oder Blindenschrift bis zu Sprachverschlüsselungs-, Erkennungs- und Simulationsverfahren reicht der Bogen.

Künstlerisch nähert sich die Schau der unmittelbaren Gegenwart etwa durch Christoph Möllers interaktive Klanginstallation im Innenhof von Schloss Eggenberg: 37 berührungssensitive Stahlstangen liefern via Satellit entsprechend viele Weltsprachen im O-Ton. "Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden", berichtet die Apostelgeschichte 2,1-13. (DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.3.2003)