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Laut Impfplan sollen sich in der ersten Phase Berufstätige in Gesundheitseinrichtungen impfen lassen, ab 9. Nobember chronisch Kranke.

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Heinz Burgmann (45) ist Infektiologe am AKH in Wien

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Christoph Wenisch (42) ist Internist und Infektiologe am Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien

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STANDARD: Die Mehrheit der Bevölkerung scheint gegen die Impfung zu sein. Wie erklären Sie sich das?

Wenisch: Es ist peinlich, wenn Politiker dieses Landes sagen, dass sie sich nicht impfen lassen. Sie tragen die Verantwortung für die Bevölkerung. Sie haben veranlasst, dass der Impfstoff zur Verfügung steht. Und jetzt rudert man zurück. Das ist unverantwortlich.

Burgmann: Sie fallen aber vielleicht nicht in die bisher definierten Risikogruppen.

Wenisch: Es geht um das grundsätzliche Verständnis. Die Influenza A-H1N1 ist eine globale Bedrohung. Seit April gab es 4100 Todesfälle weltweit, 340.000 Infizierte sind laut WHO durch Labortests bestätigt. Die Impfung war absolut notwendig, es ist absurd, die Pandemie jetzt herunterzuspielen.

STANDARD: Wie viele Fälle gibt es in Österreich?

Wenisch: 419 Fälle konnten bestätigt werden, die wurden vor allem in den Sommerreisemonaten importiert. Derzeit werden zwei bis drei Fälle von H1N1 täglich registriert. Todesfälle gab es in Österreich keine, in Europa insgesamt aber 228.

STANDARD: Keine Bedrohung also ... 

Wenisch: Individuell betrachtet ergibt sich dieses Bild, aber für die Verantwortlichen ergibt sich ein anderes Bild. Es ist ähnlich wie beim Steuerzahlen: Im Moment der Überweisung ans Finanzamt sieht keiner einen Sinn. Der Bevölkerung insgesamt bringt Steuerzahlen aber schon etwas. So ist das auch mit der Impfung.

Burgmann: Die größte Herausforderung, vor der wir angesichts der sehr milden Verlaufsform von H1N1 stehen ist: Wie reagieren wir, ohne überzureagieren?

Wenisch: Das Grippevirus ist wandlungsfähig, bleibt potenziell gefährlich und ist unberechenbar. Dass wir einen Impfstoff haben, ist sehr vorteilhaft.

Burgmann: Alles hängt immer von der Art des Grippevirus ab. Und es ist nun einmal so, dass wir das Influenza A-H1N1-Virus jetzt erst kennenlernen. Jeder Grippestamm ist in seinem Verlauf und seiner Risikogruppengefährdung unterschiedlich. Zu dem Zeitpunkt, als sich die Behörden für die Impfstoffproduktion entscheiden mussten, ging man von Annahmen aus - und bis zu einem gewissen Grade tun wir das immer noch.

STANDARD: Was wissen wir sicher?

Wenisch: Dass sich H1N1 sehr leicht von Mensch zu Mensch überträgt, dass er im Gegensatz zur saisonalen Grippe nicht bevorzugt Ältere befällt, sondern vor allem 12- bis 30-Jährige, dass Schwangere gefährdet sind und Menschen mit Grunderkrankungen, etwa Stoffwechsel, Atemwege, Niere, Leber, auch neurologische Erkrankungen und Krebs.

Burgmann: Das Gute an dieser milden Verlaufsform ist, dass wir Zeit haben, das zu beobachten. Noch ist die Grippesaison ja gar nicht angelaufen. Erfahrungsgemäß wird die Lage immer erst im Jänner, Februar ernst.

STANDARD: Auf der Südhalbkugel war bereits Winter ...

Wenisch: In Australien hat ein Austausch stattgefunden. Die Neue Grippe hat die saisonale ersetzt.

Burgmann: Eine saisonale Impfung wäre dort sinnlos gewesen.
Wenisch: In anderen Ländern hat dieser Austausch aber nicht stattgefunden. Deshalb bleibt saisonale Grippeimpfempfehlung plus Pandemieimpfung aufrecht.

STANDARD: Jetzt die entscheidende Frage: impfen oder nicht impfen?

Wenisch: Ab 27.10. steht der Impfstoff Berufstätigen in Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung und ist empfohlen, ab 9.11. wird Risikogruppen die Impfung angeboten. Es gibt keinen Zwang zur Impfung.

STANDARD:Gerade die waren bisher aber besondere Impfmuffel.

Wenisch: Das ist mir unverständlich. Wer ein soziales Verantwortungsgefühl hat, muss sich impfen lassen, weil er andere dadurch schützt, besonders im Spital. Wer sich nicht impfen lässt, gibt das Virus weiter. Das allgemeine Grundübel: Der Österreicher ist dem Österreicher egal, mit der Zivilcourage ist es nicht weit her.

Burgmann:: Weil ich im Spital arbeite, werde ich mich impfen, sonst würde ich es einstweilen nicht tun.

Wenisch: Aber genauso wird es ja auch empfohlen. Die Nichtrisikogruppe ist derzeit auch gar nicht zum Impfen aufgerufen, und die Diskussion, die stattfindet, ist virtuell. Von allen Maßnahmen, die eine Pandemie eindämmen kann, gibt es nur für die Impfung Evidenz, dass sie hilft. Ob Masken, Händewaschen oder Schule-Sperren im Falle einer großen Krise hilft, wissen wir nicht.

STANDARD: Sind jene, die H1N1 durchmachen, nicht besser immunisiert als jene, die geimpft sind?

Burgmann: Das ist eine Annahme, die sich aus der Beobachtung ergibt, dass H1N1 ältere Menschen nicht so stark trifft, weil sie dieses Virus irgendwann schon einmal durchgemacht haben und noch eine Immunantwort haben. Derart langanhaltende Immunisierung sehen wir bei Impfungen nicht.

STANDARD: Reicht es, sich dann impfen zu lassen, wenn die Neue Grippe ins Rollen kommt?

Wenisch: Nein. Prävention geht vor Therapie. Wir sind in der glücklichen Lage, einen Impfstoff und einen Impfplan zu haben. Daran sollten wir uns halten.

Burgmann: Dass wir den Impfstoff haben, ist gut. Der Verlauf der Grippe ist mild. Es ist keine Gefahr im Verzug. Das ist ein Vorteil. 

STANDARD: Ein Geschäft für die Pharmaindustrie?

Wenisch: Das stimmt natürlich, sie haben nur ihren Teil am Pandemieplan erfüllt. Es hat vorher die politische Entscheidung dafür gegeben, deshalb ist den Firmen doch jetzt kein Vorwurf zu machen. Kritik kann nur der Politik gelten. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 23.10.2009)