Neptune, Schauplatz der Serie, ist mir Zuhause und Fluchtpunkt zugleich geworden: "Veronica Mars" hat einfach alles, was ich bei einer Serie mag. Crime, Spannung, Geheimnisse, Witz und Drama. Screw-Ball trifft Noir trifft "Teenie"-Drama trifft voll ins Schwarze. Die Hauptfigur und Namensgeberin der Serie ist zu Beginn eine 17-jährige Privatdetektivin, die in Neptune, Kalifornien, zur Highschool geht. Einst integriert in die Clique der Stars der Schule - "09ers" (nach der Postleitzahl benannt, wo die M/Billionäre wohnen) -, startet die Serie mit Veronica als gefallenem Mädchen, das sich als Phoenix entpuppt: Früher beliebt und ein girly girl, ist sie nach tragischen Entwicklungen um die Ermordung ihrer besten Freundin Lilly eine toughe, butchy Einzelgängerin, die sich statt mit Parties und Boyfriend nun lieber mit Kriminalfällen beschäftigt, fotografiert und sich als schlaue, witzige und so sympathische Figur etabliert.

Darstellerin Kristen Bell bringt Veronica mit selten mitreißendem Verve, Witz und Grips auf den Bildschirm, dass es einer verdammt schwer fällt, sich nicht dabei zu ertappen, so sein zu wollen wie die zierliche Blonde, die auszieht, um Wahrheiten ans Licht zu bringen, rücksichtlos gegenüber ihrer Reputation und den Nerven ihrer Mitmenschen - annoy like the wind! - und dabei nicht vor kriminellen Handlungen und Gefahren zurück schreckt. Das einzige, was Veronica davon abhält, aufzudecken, ist ihr eigener moralischer Katalog. Nicht allein das Gesetz bestimmt, was recht ist, Ethik, das Miteinbedenken der Konsequenzen von Wahrheiten, ist Maßstab - was VM von klassichen Crime-Serien erholsam abhebt. Noir eben, auch von der Bildästhetik. Und es kommt einfach großartig, wenn die Schatten von einer 1,55 Meter großen blonden jungen Frau mit ausdruckstarkem Gesicht verdichtet oder vertrieben werden. Dass eine Teenagerin in einer "Erwachsenenwelt" ihr Ding durchzieht und das mit dem gewünschten Ergebnis, steht als perfekt befühlbar und belebt gemachte Schablone für das Prinzip Machtlos gegen Mächtig - mit Erfolg. Das Empowerment der Teenagerin durch die Entwicklungen in ihrem jungen Leben bestimmt nach und nach die Dynamik.

Jede Folge von VM ist ein Überraschungsei mit einem "Who dunnit?"-Rätsel statt Sammlerfigur, das am Ende von Veronica (und FreundInnen) gelöst wird. Manche Verbrechen benötigen einige Folgen lang Aufklärungszeit. Die ersten beiden Staffeln beschäftigen Veronica jeweils mit einem großen Verbrechen, hinter dem die jeweiligen (Staffel-)EndgegnerInnen stehen. In der ersten will sie herausfinden, wer Lilly tatsächlich ermordet hat. Ihr Vater, einst Sheriff von Neptune, ist ebenfalls an diesem Fall dran, der ihm einst das Amt gekostet hat, weil er den Vater Lillys, einen Software-Unternehmer in Gates-Größe, verdächtigte - was auch Veronicas Outcast-Status determiniert hat, weil sie immer zu ihrem Vater stand und steht. Ihr Mutter hat die beiden im Zuge dieser Emittlung, die Neptune gegen die Mars-Familie aufgebracht hat, verlassen, der Druck war zu groß, der Alkohol zu viel. Scheint es.
Aber die Regel in Neptune: Wenig ist so, wie es den Anschein hat. Veronica, ihr Vater sowie ihre FreundInnen Wallace und Mac (eigentlich Cindy) sind die Ausnahmen. Der Rest der fixen Crew - darunter Veronicas Liebespartner Duncan und Logan - sind ominöser angelegt, die Beziehungen komplex und kompliziert. Aber: Kein "Dawson's Creek".2 erwartet die ZuseherInnen *phew*, das Script versichert sich nicht bis zum Zungenbruch, alle huckepack auf Wortkaskaden mitzunehmen zu dem emotionalen Punkt, an dem sich die Figuren und gefälligst auch die GlotzerInnen befinden sollen. Das passiert die meiste Zeit scheinbar mühelos in Szenen, die auch andere Plots weiter führen. Bell und auch die anderen DarstellerInnen leisten da nicht wenig.

Die dritte und letzte Staffel von Veronica Mars wurde bereits im Schatten des Damoklesschwerts der Absetzung wegen schlechter Einschaltquoten geschrieben - nicht, dass es an der zweiten etwas zu bemängeln gegeben hätte, im Gegenteil. Da wurden MitschülerInnen im Schulbus über die Klippe gejagt, eine komatöse Freundin Mutter und ein Liebesdingens epischen Ausmaßes in Aussicht gestellt! Staffel drei spielt schon am College, wo ein Serienvergewaltiger Zunder für den Streit zwischen feministischen Studentinnen und den Studi-Verbindungen "Greeks" ist - und ein Mord darf auch nicht fehlen. Entwickler Rob Thomas hat trotz der schlechten Aussichten auf eine vierte Staffel darauf spekuliert, dass Veronica Mars gerettet wird und 2007 ein ambivalent aufgenommenes Serien-Finale ("The bitch is back") konzipiert. Veronica Mars als Serien-Juwel, aus dem noch so viel rauszuholen gewesen wäre, hin oder her, das interessiert die Sender nicht, es geht ums Geld. Als letzten Rettungsanker haben die MacherInnen eine Vorschau auf das Konzept einer möglichen vierten Staffel gegeben, wo wir Veronica etliche Jahre später als FBI-Newbie begegnen - aber das hat die Senderverantwortlichen bei CW (das Serien wie "Smallville", "Supernatural" oder "90210" ausstrahlt) nicht mehr umstimmen können. Eine Reality TV-Show mit den Pussycat Dolls hat Veronica Mars ersetzt. Wir werden nicht erfahren, wie es mit einer der stärksten weiblichen Serien-Charaktere überhaupt weiter geht - außer die Langzeitspekulation eines VM-Filmes wird Realität.

Darauf will ich gar nicht hoffen, denn als Serie funktioniert(e) VM prächtigst. "A long time ago we used to be friends" erinnern die Dandy Warhols im Vorspann, und auch wenn seit zwei Jahren abgedreht, kann man mit "Veronica Mars" bei jedem Re-View leicht wieder Freundschaft schließen. Heißer Tipp: Mit unter kann auch mehr draus werden. (bto/dieStandard.at, 18.8.2009)