Qualitätsmedien sind in einem Social Web unverzichtbar, sagt Andreas Blumauer. Massenmedien "könnten durch den Einsatz von Text-Mining und semantischen Technologien sukzessive von Maschinen ersetzt werden." 

Foto: Weinwurm

"Der kleine David" am PC: Szene aus dem Film WarGames.

Foto: derStandard.at

Digital gegen analog - das nenn' ich Brutalität: Ich knüpfte im Jahr 1987 meine erste digitale Beziehung, ich tauschte via Akustikkoppler mit einem Schulfreund Hausübungen aus. Sehr praktisch! Schon damals spürten wir, es kommt etwas Großes auf uns zu. Die Kehrseite der Medaille wurde uns damals schon im Kult-Streifen WarGames vor Augen geführt, als das Verhältnis zwischen Spiel, Simulation und brutaler Realität in ein neues Licht gerückt wurde. Mehr als 20 Jahre später: Die Annehmlichkeiten der Digitalisierung sind größer geworden, negative Begleiterscheinungen häufiger und die damit verbundenen Therapien vielfältiger. Die größten Widersacher einer "Digitalisierung" unserer Welt waren zunächst die Musikliebhaber: Musik von CDs klingt eckig und berechnet, abgenommen von LPs (Für die jüngeren Leser: das sind Langspielplatten) hingegen dringt sie rund und weich in unsere Sinne ein. Gilt dasselbe am Ende für digitale Beziehungen? Was hält eigentlich länger: Eine Partnerschaft, angebahnt über das Internet oder eine "analog" initiierte?

"Qualität" gegen "Masse"

Was aktuell zwischen "alten" Medien, vertreten zum Beispiel durch den "Falter"-Chefredakteur Armin Thurnher und den "neuen" Medien (Bloggern wie Helge Fahrnberger) verhandelt wird, erinnert an diese Debatte. Die eine Seite sieht die Informationsqualität bedroht, während sich die andere Seite über die neuen Möglichkeiten der Informationsverteilung und die damit verbundene Partizipationsarchitektur freut. Ich halte diese konkrete Debatte für vielversprechend, weil ich diesen scheinbaren Widerspruch für lösbar halte: Nicht "alt" gegen "neu" heißt das Duell, sondern "Qualität" gegen "Masse". Gerade Qualitätsmedien sind im Gegensatz zu so genannten Massenmedien in einem Social Web unverzichtbar. Letzere könnten durch den Einsatz von Text-Mining und semantischen Technologien sukzessive von Maschinen ersetzt werden.

Digitale Netzwerke als Immunsystem

Somit kann eine andere, wichtigere Frage in diesem Diskurs in den Mittelpunkt rücken: Welche Freiheiten gewinnen oder verlieren wir durch die Digitalisierung unserer sozialen Beziehungen? Hier kommt schließlich eine neue Dimension ins Spiel: Beziehungen behüten und beschützen diejenigen, die sie pflegen und über sie reflektieren, vor jenen Informationen, die in diesen Beziehungen keinen Sinn ergeben. Jeder von uns ist nicht nur über sieben oder acht Ecken mit den größten Verbrechern dieser Welt verbunden, sondern über noch weniger Knoten mit allerlei Unfug und Wahnsinn, der sich über digitale Medien rasend schnell verbreiten lässt. Beziehungsnetzwerke allgemein und damit auch digitale Netzwerke funktionieren wie ein Immunsystem, das sich um eine Person herum aufbaut. Ich lese keine U-Bahn-Gratis-Zeitungen, weil sie mir und meinen Beziehungen nicht gut tun.

"Digital" heißt nicht "simuliert"

Seppi Huber: "Habe eben meinen blauen Pullover ausgezogen, weil mir heiß ist." Warum fällt es mir so schwer, mich von einer digitalen Beziehung zu trennen? Erfährt das andere Ende eigentlich von solch einer Trennung? "Neues aus meinem Netzwerk: Andreas Blumauer interessiert sich nicht mehr für mich." Wir lernen gerade, dass auch digitale Beziehungen nicht ewig Bestand haben, und ebenso Schaden anrichten können wie ihr analoges Pendant. "Digital" heißt jedenfalls nicht "simuliert", wie dies der kleine David (dargestellt von Matthew Broderick) in WarGames dachte.
Ob nun "Internetbeziehungen" länger dauern als traditionelle, ist wissenschaftlich noch nicht belegt worden, aber es dürften sich noch andere Märkte im Internet auftun: Online-Scheidungen zum Beispiel sind einfach unkomplizierter als ihre "sinnliche" Variante. (Andreas Blumauer/derStandard.at/29. Oktober 2009)