"Faymann ist der Sterbebegleiter der SPÖ auf die Intensivstation. Wenn das so weiter geht hat der nächste SPÖ-Vorsitzende die traurige Aufgabe, die ganze Partei zu entsorgen", sagt Palm.

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"Da würde ich einen Optiker empfehlen. Ich verstehe überhaupt nicht wie man zu so einer Diagnose kommen kann."

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Krainer: "Dass die SPÖ Teil des bürgerlichen Lagers sein soll, höre ich seit den Kreisky Jahren. Das hat schon so einen Bart."

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"Grasser ist Teil des kapitalistischen Systems, Teil des Privatisierungsbooms, dem die SPÖ zugestimmt hat."

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Die Fliege: "Ich bin Sozialdemokrat und jedes Wesen hat bei mir ein Recht zu leben", so Krainer.

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Palm: "Der Cap hat einmal die schöne Redewendung benutzt: "Die Menschen da draußen". Das klingt so nach: Wir sitzen da drinnen in unseren Parteibüros,..."

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"Steht darauf Parteiausschluss, wenn Sie sich jetzt zu einem Kommunisten setzen?", mit diesen Worten empfängt der Regisseur und Autor Kurt Palm den SP-Finanzsprecher und Nationalratsabgeordneten Kai Jan Krainer. Und setzt während des Gesprächs noch einiges drauf: Die SPÖ werde von der ÖVP an einem Nasenring vorgeführt, es fehle eine klare Positionierung und man müsse sich wieder auf das Mittel des Klassenkampfs besinnen. Krainer sieht die SPÖ hingegen in einer Umbauphase und spricht für sich eine Strukturänderung aus, um mehr Teile von Wählern zu erreichen. Solidarität sei keine Worthülse, sagt er. Es moderierten Saskia Jungnikl und Rosa Winkler-Hermaden.

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derStandard.at: Sie wissen beide worum es heute gehen soll, und zwar um ...

Palm: ... den katastrophalen Zustand der SPÖ. Das kostet mich ein müdes Lächeln.

Krainer: Ich kenne die SPÖ schon so lange und die Diagnose von außen ist immer ein andere, als von innen.

Palm: Selbst nach der Wahl in Oberösterreich?

Krainer: Ja, natürlich. Bei der Wahl manifestiert sich nur etwas, was vorher schon der Fall war. Das ist nur für einen Außenstehenden etwas Überraschendes, aber der Zustand von der SPÖ war nach der Wahl nicht anders.

Palm: Vielleicht hättet ihr das dem Haider (Erich, Anm.) sagen sollen, dass die Partei in dem Zustand ist. Weil er ist ja in Oberösterreich angetreten ...

Krainer: Der Haider kennt die SPÖ ganz gut.

Palm: ... mit dem festen Vorsatz, die ÖVP zu überholen. Aber das ist ohnehin die Oberfläche. Die Wahl ist nur ein weiteres Indiz für den Zustand der Sozialdemokratie. Faymann ist der Sterbebegleiter der SPÖ auf die Intensivstation. Wenn das so weiter geht hat der nächste SPÖ-Vorsitzende die traurige Aufgabe, die ganze Partei zu entsorgen. Die zweite Instanz wird die ÖVP sein - mit dem Primarius Dr. Josef Pröll. Die ÖVP führt die SPÖ am Nasenring herum.

Krainer: Da würde ich einen Optiker empfehlen. Ich verstehe überhaupt nicht wie man zu so einer Diagnose kommen kann.

derStandard.at: Wie sieht Ihr Bild von der SPÖ aus, Herr Krainer?

Krainer: Dass die Sozialdemokratie nicht beschränkt auf Österreich oder Wien, sondern in Europa eine sehr, sehr schwierige Zeit durchmacht, ist offensichtlich. Das hängt primär damit zusammen, dass die Sozialdemokratie Ende der 90er Jahre auch neoliberale Politik mitgetragen hat. Eine Sozialdemokratische Partei hat immer einen Veränderungswillen für die Gesellschaft. Konservative Parteien wollen ja eher, dass sich nichts ändert. Sozialdemokratie heißt, Dinge zum Positiven verändern zu wollen. Da exponiert man sich viel mehr - wir sagen, wir wollen was und suchen entsprechende Mehrheiten im Parlament oder wo immer. Wenn wir zum Thema Gesamtschule diskutieren, dann ist das eine Diskussion, die bereits über Jahrzehnte läuft. Das ist in der Sozialdemokratie so. Wie lange hat es die Diskussionen über die 40-Stunden-Woche gegeben?

Palm: Seit dem 19. Jahrhundert. Und der Marx schreibt schon im Kapital drüber.

Krainer: Eben. Und wann ist sie gekommen? 1972.

Palm: Und jetzt wird sie wieder aufgeweicht.

Krainer: Ich betone ja nur den Gegensatz zu einer konservativen Partei, die in der Tendenz keinen Veränderungswillen der Gesellschaft hat.

Palm: Das würde ich nicht so sehen. Wolfgang Schüssel hat die Gesellschaft ordentlich umgebaut. Verändert zum Negativen. Da hat man gesehen, was geht.

derStandard.at: Die SPÖ ist bis Ende der 90er Jahre erfolgreich einen Kurs gefahren, der an den Neo-Liberalismus angelehnt war, und jetzt?

Krainer: Die Frage ist, was Erfolg für eine Partei bedeutet. Ist das, wenn sie eine Wahl gewinnt oder wenn sie langfristig Inhalte durchsetzt? Wer sagt, dass die SPÖ jetzt eine besonders erfolgreiche Phase hat, braucht einen Arzt. Aber ich bin optimistisch was die Perspektive angeht.

Palm: Das wird sehr schwierig. Denn die SPÖ entwickelt sich tendenziell nach Rechts und nicht nach Links. Die außerparlamentarischen Bewegungen haben früher eine viel größere Rolle gespielt. Es gibt immer noch das Streikrecht in Österreich, das Demonstrationsrecht. Ich weiß nicht, wann von der SPÖ mit Ausnahme des ersten Mai die letzten Demonstrationen organisiert wurden. Das ist eine Tradition der Arbeiterbewegung von der nichts mehr zu sehen ist. Die Partei vergräbt, versteckt sich in Ausschüssen, in sozialpartnerschaftlichen Gremien. Die Partei als Bewegung, die gibt es nicht mehr.

Krainer: In den 70er-Jahren hat es wesentlich weniger Demonstrationen gegeben. Die größten Streiks der Nachkriegsgeschichte waren alle in den vergangenen zehn Jahren.

derStandard.at: Sind Wörter wie Solidarität mittlerweile zu Worthülsen verkommen?

Krainer: Worthülsen werden sie dann, wenn sie der ÖVP-Chef verwendet. Ich benutze das Wort selber, ohne dass es mir jemand gesagt hat.

Palm: Ich sehe ein Riesen-Problem, wenn der Faymann am ersten Mai "Die Internationale erkämpft das Menschenrecht" singt und am zweiten Mai das Zepter wieder an die Frau Fekter übergibt, mit den Worten: Du kannst tun und lassen was du willst in der Ausländerpolitik.

Krainer: Bitte, das stimmt doch gar nicht ...

Palm: Als ich Burgstaller (Gabi, Salzburgs Landeshauptfrau, Anm.) am Tag nach der Wahl in Oberösterreich im Radio gehört habe dachte ich zuerst, es spricht Fekter. Es wird immer gesagt, die Anständigen müssen geschützt werden; Es werden die gleichen Bilder verwendet, die FPÖ und ÖVP benutzen. Da kommt die SPÖ nicht weiter, wenn sie sich nicht klar positioniert.

Krainer: In der Sache muss man eine ordentliche Debatte führen. Auf so einem Niveau, wie mit Aussagen "Die klingt wie die Fekter", geht das nicht. Burgstaller klingt nie wie Fekter.

Palm: Ein Drittel der Schubhäftlinge tritt in Hungerstreik. Sie haben keine Rechte. Warum steht die SPÖ da nicht auf? Faymann müsste als Bundeskanzler hergehen und sagen, dass das eine Schweinerei ist. Er unterstützt aber Fekter und will kein Integrationsstaatssekretariat. Wann haut er einmal auf den Tisch?

Krainer: Das hat nichts mit auf den Tisch hauen zu tun. Die Zusammensetzung einer Regierung lege ich am Anfang fest. Mittendrin kann man nicht irgendwas ändern.

derStandard.at: Kann es sein, dass die Wahlverluste der SPÖ einfach Teil der europaweiten Abwärtsbewegung der Sozialdemokratischen Parteien ist?

Krainer: Was die Sozialdemokratie an sich geschwächt hat ist: wir sind als internationale Bewegung gestartet, haben in einzelnen Ländern dann die Mehrheit gewonnen und diese dann in nationale Gesellschaften umgebaut, Richtung Wohlfahrtsstaat, mehr Chancengerechtigkeit und so weiter. Jetzt bewegt sich die Welt aber in eine andere Richtung: weg von den nationalen Staaten. Und der Schritt zurück zur Internationalität, ist von der SPÖ noch zu schwach.

Palm: In den vergangenen 15 Jahren hat die Wirtschaft die Politik überholt. Und gerade die Sozialdemokratie greift viel zu wenig aktiv ein. Das sieht man schon daran, wie wenig die SPÖ die Geschichte rund um die Buwog und Grasser aufgreift. Grasser (Karl-Heinz, Anm.) macht das nicht weil er ein böser Bub oder besonders clever ist, sondern Teil des Systems.

Krainer: Es ist doch eine Verharmlosung von Grasser, zu sagen: Er tut ja eh nur das, was alle anderen tun.

Palm: Naja, er ist Teil des kapitalistischen Systems, Teil des Privatisierungsbooms, dem die SPÖ zugestimmt hat.

Krainer: Ja, die SPÖ ist - vor allem in den Augen der Linken - immer an allem Bösen in der Welt schuld. In Wahrheit fehlen uns die Institutionen um Politik zu machen, auf derselben Ebene, wie das Kapital sie hat.

Palm: Da sind wir doch endlich einer Meinung.

Krainer: Deshalb ist die SPÖ eine massiv pro-europäische Partei. Weil wir diese Institutionen auf europäischer Ebene brauchen. National kann ich oft gar nichts machen, außer dem Falschen.

(Eine Fliege fällt in ein Wasserglas)

Palm: Da bitte, das Symbol der Sozialdemokratie in Österreich. Jetzt werden wir schauen, ob sie sich retten kann...

Krainer: (fischt die Fliege raus) Ich bin Sozialdemokrat und jedes Wesen hat bei mir ein Recht zu leben.

Palm: Die wird sich nicht erholen.

Krainer: Doch, doch, die ist stark.

derStandard.at: Wo ist eigentlich das linke Lager in Österreich?

Krainer: Na, wo wohl. In der SPÖ. Ich kenne keine Partei, die über die Wahrnehmungsschwelle tritt, die links von der SPÖ stehen würde. Der Vorteil in Österreich war immer, dass es seit der Gründung der Arbeiterbewegung keine Spaltung gegeben hat in Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten.

Palm: Die Chancen für eine Linkspartei in Österreich sind viel geringer als die in Deutschland. Aber wir bräuchten eine Linkspartei - nicht die KPÖ in ihrer jetzigen Form - die außerhalb der SPÖ agiert. Links von der SPÖ, die ja Teil des bürgerlichen Lagers ist, wäre genug Platz.

Krainer: Dass die SPÖ Teil des bürgerlichen Lagers sein soll, höre ich seit den Kreisky-Jahren. Das hat schon so einen Bart. Es entscheiden aber ohnehin nicht wir beide, ob es eine Linkspartei geben wird, sondern die Wähler, und die scheinen keine zu brauchen. Wer glaubt, dass es in Deutschland ein Vorteil ist, dass die Linke in zwei Teile zersplittert ist, der irrt.

Palm: Es geht um etwas ganz anders. Ich finde es wichtig, dass es dutzende Organisationen, NGO's gibt, die außerhalb der Partei arbeiten. Wenn ich mir vorstelle, dass ich allein auf die Unterstützung der SPÖ angewiesen wäre, stellt es mir alle Haare auf. Es braucht eine linke Bewegung - das muss gar keine Partei sein -, allein für den Diskussionsprozess. Starre, hermetische, abgeriegelte Blöcke, wie die Parteien welche sind, gehören aufgebrochen.

Krainer: Was wir brauchen ist mehr Diskussion. Da bin ich froh, wenn alle Linken in der SPÖ sind, denn man kann sich nicht ausschließlich auf öffentliche Medien verlassen, die aufgrund ihrer Eigentümerstruktur natürlich gewisse Beweggründe haben. Wir wirken bei weitem nicht mehr so tief in die Gesellschaft hinein, wie das noch vor Jahren war. Bei einem gewissen Segment kommunizieren wir erfolgreich, aber weite Teile der Gesellschaft erreichen wir nicht.

Das ist eine echte Schwäche. Dadurch wird die Sozialdemokratie blind. Wenn sie nur aus Männern zwischen 50 und 60 bestehen würde, die in Gemeindebauten wohnen und im geschützten Bereich arbeiten, würden wir nicht mitbekommen, was am privaten Wohnungsmarkt passiert. Da wird die SPÖ gefordert, sich immer wieder zu erneuern.

Palm: Ob das zu den Herren Faymann oder Cap durchdringt, wage ich zu bezweifeln. Der Herr Cap weiß zwar sicher, was eine Flasche Chardonney kostet, aber wie viel ein Liter Milch kostet sicher nicht.

Krainer: Aber sicher weiß er das! Wieso auch nicht?

Palm: War der schon einmal einkaufen in den letzten zwanzig Jahren?

Krainer: Fragen Sie ihn. Glauben Sie, der hat einen Butler, der ihm die Milch holt?

Palm: In den Parteibüros gibt es sicher genug Leute, die für ihn einkaufen.

Krainer: Glauben Sie, der wohnt im Parteibüro?

Palm: Na, in einem Weinkeller.

Krainer: Und dann schüttet er sich den Wein in den Kaffee, weil er keine Milch kennt? Ein Politiker ist genauso ein Mensch.

Palm: War Faymann schon mal einkaufen seit er Kanzler ist?

Krainer: In seiner Funktion als Kanzler war er noch nicht einkaufen, aber fragen Sie ihn. Ich kann nur sagen, ich geh oft genug einkaufen, um besser zu fachsimpeln, was ein Liter Milch kostet, als Sie.

Palm: Cap hat einmal die schöne Redewendung benutzt: "Die Menschen da draußen". Das klingt so nach: Wir sitzen da drinnen in unseren Parteibüros, werden von vorne bis hinten bedient, haben unsere Dienstwägen,...

Krainer: Cap hat ausdrücklich auf seinen Dienstwagen verzichtet. Das sind doch ganz normale Menschen, wie alle anderen. Die manchmal Sorgen haben und schlecht schlafen und manchmal nicht...

Palm: Sollen wir jetzt Mitleid haben?

Krainer: Nein, die machen das, was sie machen wollen.

derStandard.at: Kommen wir wieder zurück zum Thema. Herr Palm, was würden Sie sich von der SPÖ wünschen?

Palm: Einen Klassenkampf. Das ist das, was die ÖVP schon seit Jahren macht. Die SPÖ sollte sich auf eine alte Tugend der Arbeiterbewegung besinnen und das Mittel des Klassenkampfs ausgraben.

Krainer: Die Gesellschaft heute ist halt eine andere als damals.

Palm: Aber der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit ist nach wie der Hauptwiderspruch in unserer Gesellschaft.

Krainer: Sich aber nur als Arbeiterpartei zu deklarieren, würde bedeuten, sich selbst zu marginalisieren. Früher war klar, ich bin Arbeiter, das ist meine Partei. Heute sind die Töchter und Söhne der Arbeiter Juristen oder Ärzte und da ist es nimmer so klar. Diese Strukturen in der Partei abzubilden, da könnte die SPÖ wesentlich besser sein. Viele Menschen erreichen wir ja gar nicht.

Palm: Zurück zu ...

Krainer: Nein, nicht zurück! Vorwärts!

Palm: Zurück zum Parteibuch mit Markerlkleben und Besuchen zu Hause.

Krainer: Das interessiert doch heute keinen mehr. Gehen Sie mal zu einem 19-Jährigen und lassen Sie ihn Markerlkleben. Der sagt doch: Wo bin ich da?

Palm: Ist doch was Wunderbares.

Krainer: Für Nostalgiker wie uns zwei, ja. Aber der schaut ja, wo die versteckte Kamera ist.

Palm: Es geht darum, persönlich zu kommunizieren, zu den Menschen zu gehen.

derStandard.at: Herr Palm, Sie haben einmal gesagt, 2050 ziehen die Linken in den Nationalrat ein. Herr Krainer, Ihr Tipp?

Krainer: Die Linken sind schon im Parlament und zwar in der sozialdemokratischen Fraktion. (Saskia Jungnikl und Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 21.10.2009)