Nenzing - "Deutsch ist Pflicht" plakatierte die FPÖ im Wahlkampf. Der blaue Nenzinger Bürgermeister Florian Kasseroler hält nichts von Parolen, Zwang und Druck. In seiner Gemeinde sollen die Menschen "Freude an Mehrsprachigkeit entwickeln" . Das Projekt "Sprachfreude - Nenzing spricht mehr" fokussiert zwar auf die Frühförderung in den Kindergärten, beschränkt sich aber nicht auf Kinder mit Migrationshintergrund.

Kasseroler zum Standard: "Ich wollte die Thematik aus der Integrationsecke herausholen, deshalb wurde Englisch ganz massiv ins Spiel gebracht." Das Konzept in Kurzfassung: Deutsch als Muttersprache, Deutsch als Zweitsprache, Englisch als Projektsprache

Fast zwei Jahre lang bereiteten sich die Kindergartenpädagoginnen mit dem Sozialpädagogen und Unternehmensberater Andreas Holzknecht auf das Sprachfreude-Projekt vor. Das Ziel: Kinder sollten das Erlernen von Sprache in ihrer Vielfalt als lustvoll erleben, die Schule mit gleichen Chancen beginnen.

Nach einem Jahr Erfahrung in den fünf Kindergärten weiß man, dass sich das Konzept bewährt. Holzknecht: "Es zeigt sich, dass sich Migrantenkinder mit Englisch leichter tun und Kinder mit deutscher Muttersprache Neugierde für andere Sprachen entwickeln. Auch für die Sprachen der Migrantenkinder." Die Wertschätzung für die Muttersprache anderer beschränke sich nicht auf den Kindergarten, sagt Holzknecht: "In Nenzing wird man diesen Humbug ‚Die sollen ihren Kindern doch Deutsch lernen‘ nicht mehr hören." Denn man habe den Wert der Muttersprache für die Sprachentwicklung erkannt.

5000 Stunden investiert

Rund 5000 Stunden wurden in das Projekt investiert - von Kindergartenpädagoginnen, Sprachförderinnen, "native speakers" . Gearbeitet wird mit den Kindern und mit den Eltern. In einem Kontrakt versprechen sich Gemeinde, Kindergartenpädagogin und Eltern von Kindern nichtdeutscher Muttersprache Zusammenarbeit. Holzknecht: "Die Bereitschaft der Eltern zur Kooperation ist hoch. Was man beispielsweise am Rücklauf von Arbeitsblättern sieht. Der beträgt 85 Prozent." Türkischstämmige Mütter treffen sich regelmäßig im Mütterkreis zum Austausch.

Die Wirkung der Sprachförderung wurde mit dem in München entwickelten Sismik-Bogen beobachtet und dokumentiert. Eine erste Evaluation ergab eine Verbesserung der Sprachentwicklung von durchschnittlich 25 Prozent.

Sprachfreude war im ersten Jahr durch Kofinanzierung des Europäischen Integrationsfonds "fast kostenneutral" (Kasseroler). Was den Bürgermeister außerdem freut: "Das Projekt weckt Interesse, wir konnten es bereits bei einer Arge-Alp-Tagung vorstellen." (Jutta Berger/DER STANDARD-Printausgabe, 20.10.2009)