In den 70ern war er der Architekt der deutschen Gesetze zur Arbeitermitbestimmung in den Betrieben: Kurt Biedenkopf.

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Mit dem intellektuellen Schwergewicht der CDU sprach Tobias Müller.

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STANDARD: Union und FDP diskutieren in den Koalitionsverhandlungen über Steuersenkungen. Sind sie möglich und sinnvoll?

Biedenkopf: In gewissen Grenzen sind sie möglich, vorausgesetzt, die entgangenen Einnahmen werden an anderer Stelle ausgeglichen. Das müssen nicht Steuererhöhungen sein, der Staat kann auch Ausgaben einsparen. Was ohnehin der richtige Weg wäre. Es gibt keinen großen Spielraum für Steuersenkungen.

STANDARD: Was für Steueränderungen wären sinnvoll?

Biedenkopf: Wichtig wäre es, die Eigenkapitalbildung bei mittelständischen Unternehmen zu erleichtern. Das ist eine Schwachstelle, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. 70 Prozent der Beschäftigten arbeiten in mittelständischen Unternehmen, die große Mehrheit dieser Unternehmen hat zu wenig Eigenkapital. Mehr Eigenkapital bedeutet eine größere Resistenz gegen Konjunkturschwankungen und eine stärkere Investitionskraft. Das ist nicht nur im Interesse der Unternehmen, sondern der ganzen Volkswirtschaft.

STANDARD: Dem deutschen Gesundheitsfonds werden nächstes Jahr 7,5 Milliarden Euro fehlen. Die FDP hat eine Privatisierung des Gesundheitswesens vorgeschlagen. Wäre das ein Weg, um Kosten zu sparen?

Biedenkopf: Das ist nicht durchführbar. Ich glaube auch nicht, dass das irgendjemand wirklich will. Kein Land kommt aus ohne eine Basissicherung der Bevölkerung, und die kann nur als öffentliche Aufgabe verstanden werden. Die kann ich nicht Privatunternehmen überlassen.

STANDARD: In den Koalitionsverhandlungen wird diskutiert, den Gesundheitsfonds zu regionalisieren. Ist das eine Lösung?

Biedenkopf: Jeder, der versucht, das zu machen, wird auf gewaltige zentralistische Besitzstände stoßen. Es wird trotzdem notwendig sein. Die Bewältigung eines wesentlichen Teils der sozialen Aufgaben ist nur auf kommunaler Ebene möglich.

STANDARD: Welche Maßnahmen kann die neue Regierung setzen, um die Wirtschaftskrise abzufedern?

Biedenkopf: Staatliche Maßnahmen zur Konjunkturstützung halte ich nicht für sinnvoll. Solange der Staat so hoch verschuldet ist, kann er die wirtschaftliche Entwicklung nicht abfedern. Da müssen wir eben durch. Für Unternehmen dürfte es nach neuesten Prognosen nicht ganz so gravierend werden. Die eigentlichen Schwierigkeiten der Krise werden am Arbeitsmarkt auftreten, wenn die Kurzarbeit und die Zeitkonten erschöpft sind.

STANDARD: Kann Kanzlerin Merkel die Menschen zu mehr Eigeninitiative bringen und dazu, sich weniger auf den Staat zu verlassen?

Biedenkopf: Das wird früher oder später von der Wirklichkeit erzwungen werden. Dazu kann man politisch beitragen durch die entsprechenden Anreizsysteme. Nur sind unsere Sozialsysteme derzeit eher das Gegenteil. Viele Menschen sind durchaus bereit zu Eigeninitiativen, wenn sie nicht ständig an bürokratische Hindernisse stoßen.

STANDARD: Welche Hürden sollten abgebaut werden?

Biedenkopf: Die bürokratischen Hürden bei der Eigeninitiative auf der kommunalen Ebene. Das setzt aber voraus, dass die höheren Ebenen bereit sind, da mitzuwirken. In jeder Verwaltung haben sie die Tendenz zur Zentralisierung, das ist das Haupthindernis. Sie müssen die Bereitschaft zur Dezentralisierung fördern. Die Regierung allein wird das nicht schaffen. Was wir hier diskutieren, findet im wesentlichen auf Länder- und kommunaler Ebene statt. Es wird auf jeden Fall Änderungen geben. Wenn keine Veränderungen kommen, wird es den Menschen schlechter gehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2009)