Als Regisseur hat sich Francis Ford Coppola in den letzten Jahren rar gemacht; lieber hat er sich der Winzerei, der Werbung für Louis Vuitton und dem Produzieren von Filmen gewidmet. Mit Youth Without Youth stellte er 2007 nach langer Pause einen eigenen Film vor; es war eine erratische Unternehmung mit weit sich spannenden Zeitbögen, vielen Schauplätzen, einem internationalen Ensemble und einer allzu bedeutsamen Leitfrage: Youth Without Youth forschte nach dem Urgrund der Sprache. Da sich diese Forschung vor allem aufs Brabbeln der rehäugigen Alexandra Maria Lara konzentrierte, war sie nicht ganz ernst zu nehmen.
Für seinen jüngsten Film Tetro ist Coppola nach Buenos Aires gereist, wieder hat ihn eine internationale Darstellerriege begleitet: Vincent Gallo, Klaus Maria Brandauer, Carmen Maura und Maribel Verdu. Das Drehbuch hat Coppola selbst verfasst; entstanden ist ein ähnlich erratischer Film wie Youth Without Youth - mit dem Unterschied, dass die Sprachforschung diesmal der Familienforschung weicht. Ein erfolgloser Schriftsteller, Tetro (Gallo), hat sich nach Buenos Aires zurückgezogen, weil er seinen übermächtigen Vater, den in New York lebenden Dirigenten Carlo Tetrocini (Brandauer), flieht. Tetros jüngerer Bruder Bennie (Alden Ehrenreich), ein Matrose, besucht ihn in überraschend.
Kunst und Leben gehen ineinander über
Die Begegnung liefert den Anlass dafür, dass tiefsitzende Verletzungen und halb verdrängte Erinnerungen zutage treten. Coppola inszeniert eine schmerzensreiche Familiengeschichte, in der sich vieles auf fatale Weise zu wiederholen scheint - etwa die Rivalität zwischen den Brüdern, die schon das Verhältnis von Carlo Tetrocini zu seinem (ebenfalls von Brandauer gespielten) Bruder prägte. „"Ich habe mich von meiner Familie geschieden", herrscht Tetro den jüngeren Bruder in einer Szene an. Der Film aber will das Gegenteil beweisen: Familienbande kappt man nicht, ohne zugrunde zu gehen.
Gedreht ist Tetro in kontrastreichem Schwarz-Weiß, die Rückblenden sind in Farbe gehalten. Wie in einem postmodernen Roman doppeln sich die Motive, unablässig spiegelt sich die Vergangenheit in der Gegenwart, hinzu kommen Ausschnitte aus Theaterinszenierungen und Einzelbilder aus der Opernverfilmung Hoffmanns Erzählungen (1951) von Michael Powell und Emeric Pressburger.
Dies wiederum spiegelt, was die Figuren in Tetro tun und wie sie zueinander stehen. In einer Szene am Anfang sitzt Tetros Frau (Verdu) mit Bennie auf dem Sofa in der kleinen Wohnung, Bennie ist außerdem am linken Bildrand in einem mannsgroßen Spiegel zu sehen. Und das Manuskript, in dem Tetro seine Familiengeschichte aufzeichnet, ist in Spiegelschrift verfasst. Kunst und Leben, so will es Tetro, gehen ineinander über; Coppolas Mise en scène ist in ihrer Exaltiertheit und ihrer postmodernen Verweislust wie aus der Zeit gefallen, zieht aber zugleich gerade wegen dieses Überschusses in den Bann.
Tetro eröffnete in diesem Jahr in Cannes die unabhängige Nebenreihe "Quinzaine des réalisateurs". Nach der Premiere im Kellerkino des Palais Stéphanie trat Coppola auf die Bühne. "Nichts in dieser Geschichte hat sich zugetragen", sagte er, dessen Vater Dirigent und Filmkomponist war. "Aber alles ist wahr." (Cristina Nord, DER STANDARD/Printausgabe, 16.10.2009)