"Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben" - diese Maxime des seinerzeitigen Bewunderers südamerikanischer Foltergeneräle und emeritierten Society-Kolumnisten Michael Jeannée zur Erschießung eines 14-jährigen Einbrechers durch die Polizei hat längst einen Platz in der Ruhmeshalle journalistischen Schreibtischtätertums.

Wie es jeder Polizeireporterlehrling zumindest vermuten musste, hat die Version der Polizei über den Hergang des Todesschusses schon von der ersten Minute an gestunken. Wie nun die verschiedenen Sachverständigengutachten in seltener Klarheit zeigen, ist die Schilderung der beiden Polizisten mit den Tatsachen, vor allem dem Schussgutachten, überhaupt nicht in Einklang zu bringen.

Das Problem dabei sind nicht so sehr die falschen Angaben zumindest des Todesschützen; er hat sich wohl eine Schutzbehauptung zurechtgelegt. Auch kann niemand sagen, er hätte die besseren Nerven bewahrt oder mehr Überblick bewiesen.

Der wahre Skandal ist die Vertuschungs- und Verharmlosungsmethode , zu der die Kremser Polizei, die Innenministerin und auch die Kremser Staatsanwaltschaft gegriffen haben, um den Eindruck von Inkompetenz und Schießwütigkeit zu verwischen. Es liegt ein institutionelles Versagen vor.

Was war die offizielle Aussage der Polizei? Die beiden Polizisten hätten sich in einer Bedrohungssituation befunden, der 17-Jährige und der 14-Jährige seien mit einer Gartenharke und einem Schraubenzieher bewaffnet gewesen. Es habe außerdem Dunkelheit geherrscht. Der Todesschütze will im Knien geschossen haben, sei durch ein Geräusch abgelenkt gewesen und habe dadurch nicht bemerkt, dass sich der 14-Jährige bereits zur Flucht gewandt habe.

Die Wahrheit laut Gutachten: Gartenharke und Schraubenzeiher befanden sich in der Kleidung der beiden Einbrecher. Sie wurden offenbar nachträglich als offen getragene Waffen "interpretiert". Der 14-jährige Einbrecher flüchtete aus einem dunklen Gang in eine hell erleuchtete Halle. Dorthin verfolgte ihn der Polizist. Der Bursch versteckte sich hinter einer Palette und dort schoss ihn der Polizist in den Rücken - nicht aus sieben Meter, wie behauptet, sondern aus 1,5 bis zwei Meter.

Ein Lügengebäude - übernommen und gedeckt von der Polizeiführung. Auch beim zweiten Einbrecher, dem die Polizistin durch die Oberschenkel schoss, ergeben sich Ungereimtheiten. Aber sie sind weniger schwerwiegend.

Die beiden Polizisten wurden - wegen "Schocks" - erst Tage später einvernommen. Der überlebende 17-Jährige sofort. Die Staatsanwaltschaft verhängte über den Schwerverletzten U-Haft - wegen Tatbegehungsgefahr (!). Vorstrafen des 17-Jährigen wurden an die Krawallzeitungen geleakt. Die Innenministerin gab inkohärente Erklärungen ab. Zahlreiche Volksgenossen äußerten sich in dem Jeannée'schen Sinn, dass die Jugendstrafe bei Einbruch eben der Tod sei.

All das vor dem Hintergrund serienmäßiger Fehlleistungen besonders bei der Staatsanwaltschaft in jüngster Zeit. Dem Vertrauen in die Sicherheitsbehörden wurde in den Rücken geschossen.(Hans Rauscher, DER STANDARD Pintausgabe, 14.10.2009)