Zur Autorin: Evemarie Wolkenstein ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Präsidentin des Vereins für komplementäre Präventionsmedizin.

Institut Wolkenstein

Foto: Evemarie Wolkenstein

Vor mir sitzt eine 34 jährige Frau und erzählt: „Seit meiner Kindheit leide ich ständig an grippalen Infekten, sobald es im Herbst kühler wird. Im Sommer geht es mir gut, außer ich bin dem kalten Luftzug einer Klimaanlage ausgesetzt." 

Nach einem Langstreckenflug, von dem die Patientin wenige Tage zuvor zurückgekehrt war, sieht sie sich erneut mit einer Erkältung konfrontiert, die wie vorangegangene Infekte nach demselben Schema abläuft. Aus anfänglich heftigen Niesanfällen entwickelt sich ein mehrtägiger Schnupfen, der in einer Bronchitis endet.

"Schwaches" Immunsystem

Anamnestisch zeigen sich in der Krankengeschichte der Frau noch folgende Auffälligkeiten: Die Patientin ist Allergikerin. Im Kindesalter litt sie in der Birkenpollen-Saison unter allergischem Asthma. Ihre Haut ist sehr empfindlich, reagiert häufig mit der Bildung von Ekzemen. Sie friert leicht, ist aber auch der Hitze eher abgetan. Außerdem fühlt sie sich oft müde und erschöpft. Die vorangegangene Urlaubsreise brachte nicht die erhoffte Erholung. Der Wunsch mit Hilfe der Akupunktur ihrem "schwachen" Immunsystem auf die Sprünge zu helfen, führte sie schließlich zu mir. 

Das Immunsystem ist ein sehr komplex funktionierendes System. Verschiedene Blutzellen und Botenstoffe, stehen in permanenter Wechselwirkung zueinander, kontrollieren und unterstützen sich gegenseitig. Ist das System intakt, dann wehrt es eindringende Bakterien, Viren oder andere Krankheitserreger problemlos ab, und bildet auch keine Antikörper gegen körpereigene Zellen. Ist das Immunsystem "schwach", dann wird es anfällig für Infekte oder überschießende Reaktionen (Allergien). 

Anders als die Schulmedizin, stellt die TCM nicht den Anspruch in die verschiedenen Mechanismen des Immunsystems einzugreifen. Sie bietet dem Körper nur die Unterstützung an, sich selbst in ein Gleichgewicht zu bringen. Darunter verstehen wir die Regulationstherapie.

Den Körper einheizen

Das Wort Akupunktur heißt auf chinesisch 针灸 zhenjiu und bedeutet Nadel stechen und Moxa anbrennen. Das Moxa-Kraut, ein fermentiertes Beifußgewächs, wirkt wärmend und wird an jenen Akupunktur Punkten angewendet, die Müdigkeit, Erschöpfung und Kältesymptome erzeugen. Neben dem Moxen empfehle ich meinen Patienten in der Umgebung niesender, hustender Menschen, beim ersten Anzeichen von Frösteln und unter dem Einfluss von Kälte und Wind prophylaktisch fünf Globuli von Aconitum D 30 einzunehmen. Aconitum besitzt eine wärmende Wirkung und hilft dem Körper die Kälte wieder loszuwerden, ohne dabei zu erkranken. Den Aufwand sich selbst aufzuheizen (Fieber) erspart sich der Organismus auf diese natürliche Weise. 

Warum aber frieren wir eigentlich? Zur Aufrechterhaltung sämtlicher Körperfunktionen ist eine bestimmte Betriebstemperatur unerlässlich. Die Energie dafür gewinnt der Mensch durch die Aufschlüsselung von Nahrung. Deshalb werden Nahrungsmittel auch mit dem Energiegehalt oder Brennwert beschrieben, den Kilokalorien oder Kilojoule. Die TCM spricht vom Qi (Energie) der Nahrung. Die Organe allein verbrauchen 60-70% dieser Energie bereits im Ruhezustand, bei Betätigung steigt der Bedarf. Deckt die Nahrung den Energieverbrauch nicht ab, kommt es zu einem Defizit, das durch Müdigkeit, Erschöpfung und Frieren spürbar wird.

Umstellung der Ernährung

Auf die Frage nach ihren Ernährungsgewohnheiten erzählt meine Patientin, dass ihr Frühstück aus Joghurt, Müsli und Früchten besteht, sie mittags „irgendein Weckerl" zu sich nimmt und abends keine Lust mehr zum Kochen verspürt. Salat, Rohkost oder Brote stehen um diese Zeit vorwiegend auf ihrem Speiseplan. 

In der chinesischen Medizin werden Nahrungsmittel in kühlende und wärmende eingeteilt. Abhängig davon viel Qi für den Verdauungsprozess gebraucht wird, erhält der Körper mehr beziehungsweise auch weniger Energie zurück, als er selbst aufwenden muss. Beim Verzehr von Rohkost entzieht die Verdauung dem Organismus besonders viel Qi. Es kommt zu einem Energiedefizit. Gleichzeitig wird nicht mehr ausreichend Wärme produziert, um der Kälte von Außen stand zu halten. Die Folge: Rezidivierende Infekte. 

Die Neigung zu verschiedenen Allergien erklärt sich bei meiner Patienten durch die jahrelange Einnahme sogenannter Magensäureblocker. Diese Medikamente bewirken eine unvollständige Verdauung verschiedener Nahrungsmittel und die schleichende Entwicklung von Nahrungsmittelintoleranzen. Hier schließt sich der Kreis der Beschwerden der jungen Frau. Die Umstellung ihrer Ernährung auf überwiegend wärmende Nahrungsmittel hat sie bislang nicht nur vor weiteren Infekten bewahrt sondern auch ihre gastrointestinalen Probleme verbessert. (Evemarie Wolkenstein, derStandard.at, 09.02.2010)