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Der Posteingang: eine Sache für Kontrollfreaks?

Einst revolutionierte sie den Büroalltag - heute ist die elektronische Nachricht nicht mehr wegzudenken und - viel interessanter - auch nicht zu ignorieren - treffen doch täglich dutzende, wenn nicht hunderte davon in der Inbox ein. Das volle Ausmaß der E-Mail-Flut entpuppt sich gewöhnlich nach einem ein- oder mehrwöchigen Urlaub: die Konfrontation mit tausenden ihrer Art. Kann es sein, dass der ursprüngliche Segen zum Fluch geworden ist?

Unterschätzter Aufwand

"Ab einer gewissen Unternehmensgröße nimmt der E-Mail-Verkehr überdimensional zu, weil sich die Menschen gegenseitig 'zu-mailen'", so die Beobachtung von Gunter Meier. Der Deutsche berät Firmen im Umgang mit E-Mails und ist Autor eines Buches zum Thema. Er glaubt, dass der Aufwand im Umgang mit E-Mail, aber auch Blackberry und Co generell unterschätzt wird.

Produktivitätsverlust

Laut einer Studie der britischen Zeitung "The Observer" stört die Kontrolle des Posteingangs die Konzentration im Arbeitsfluss gehörig. Schon 2003 hat die Gesellschaft der australischen Psychologen in einer Befragung unter 1.000 leitenden Angestellten herausgefunden, dass der Gutteil mehr als 20 Prozent der Arbeitszeit mit der Bearbeitung von E-Mails verbringt und es mit 20 bis 50 Job-bezogenen Mails täglich zu tun hat - davon können anno 2009 viele nur träumen.

Durchschnittlich 49 Minuten wenden Büroangestellte dafür auf ihre E-Mails zu checken - so das Ergebnis der Studie aus dem Jahr 2007. "Letztendlich sollen E-Mails Unternehmen dazu dienen produktiver zu sein, aber die Ablenkung durch neu eintreffende Nachrichten ist erheblich", so Meier, denn der Empfänger sei plötzlich gedanklich bei ganz anderen Themen." Einen weiteren produktivitätssenkenden Aspekt ortet der Berater aber auch durch Geräte wie Blackberry oder iPhone: "Dadurch, dass wir jeden jederzeit erreichen können, wird nichts mehr richtig geplant." In Firmen gelte zunehmend das so genannte "Hey-Joe-Prinzip" und das bedeute etwas "ständig hinterher zu sein".

Stressfaktor

Diese dauernde Erreichbarkeit, die aufpoppenden Signale für eine neu ankommende Nachricht am Bildschirm verursachen aber auch Stress. Laut einer 2007 veröffentlichten Studie von Forschern der Universitäten Glasgow und Paisley ist E-Mail nicht nur Grund für sinkende Produktivität: Ein Drittel der Befragten fühlte sich durch die ständige Flut an hereinkommenden Nachrichten gestresst und unter Druck sie so schnell wie möglich zu beantworten.

"Dabei ist es eine irrige Annahme immer sofort reagieren zu müssen", so Meier. Doch warum kommt es überhaupt zu dieser 'digitalen Neugier' und dem Drang den E-Mail-Eingang ständig zu überwachen? Die meisten Menschen machen das aus eigenem Antrieb, eine richtige Order dafür gebe es in den Firmen kaum, so der Berater.

Laut den schottischen Forschern checken manche Menschen ihren Posteingang bis zu 40 Mal in der Stunde, manche laut eigenen Angaben auch häufig unbewusst. Für Meier liegt der Ansporn zum ständigen 'E-Mail-Scan' aber tiefer als bloße Neugier: Er hat vielmehr das Gefühl vermehrt auf Menschen zu treffen, "die eine permanente Bestätigung wollen, dass nichts passiert ist und alles noch in Ordnung ist".

Unternehmen, die Facebook sperren

Ein anderer Ablenkungsfaktor am Arbeitsplatz ist das Internet: Laut einer Umfrage des Karriereportals Monster surfen rund 40 Prozent der europäischen Arbeitnehmer während der Bürozeit auch privat. Das Phänomen der Social Networks ist hingegen ein relativ neues: Die Polizei, die Stadt Wien und diverse Ministerien gingen schon soweit den Facebook-Zugang für ihre Mitarbeiter zu sperren. Laut einer im Magazin PC World veröffentlichten Studie, die der englische Psychologe Tomas Chamorro-Premuzic für einen Computerspielhersteller durchgeführt hat, sollen kurze Social-Networking-Pausen am Arbeitsplatz die Produktivität der Mitarbeiter aber im Gegenteil sogar erhöhen, weil Stress reduziert und die Konzentration sogar verbessert werde. Die Sperre von Social-Networking-Seiten im Büro beziffern die Studienautoren mit einem Dollar-Betrag in Milliardenhöhe.

Für Gerit Götzenbrucker vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien kommt es in Punkto Ablenkung auf den Nutzungsstil an: "Heavy User würden aber auch nach anderen wegen suchen, und beispielsweise mit dem iPhone Sperren umgehen." Sie hält das Sperren von Social-Networking-Seiten in Firmen nicht für notwendig, sondern kann dem noch etwas Gutes abgewinnen "Die Verfügbarkeit von Netzwerk-Freunden kann auch zur Beantwortung von Fragen herangezogen werden, das kann unterstützend wirken und Innovationen befördern." Sie ortet allerdings auch einen möglichen Nachteil: "Firmengeheimnisse sind so auch schnell öffentlich."

Umgang mit Information und Kommunikation

Ob Social Networks, E-Mail-Kommunikation oder Internetsurfen - darüber ob sie Fluch oder Segen im Büro sind, entscheidet letztlich auch die Art der Nutzung und die Medienkompetenz der User mit. Firmen haben durchaus schon erkannt, dass sich Facebook, Twitter & Co. recht gut als neue Marketingtools und Mitarbeiterakquise verwenden lassen und setzen diese auch gezielt ein. In Personalabteilungen ist es ein offenes Geheimnis, dass neue Bewerber schon einmal im Web auf persönliche Spuren geprüft werden.

"Bei den E-Mails fehlt Anwendern pauschal die Medienkompetenz", weiß Meier. 70 Prozent der Teilnehmer an seinen Seminaren kämen sogar zu der Erkenntnis, dass sie ihr Programm gar nicht richtig einsetzen: Funktionen wie Termine oder Wiedervorlage werden häufig gar nicht verwendet. Auch für Kommunikationswissenschafterin Götzenbrucker sind es eher die Arbeitsstile, die entscheidend sind: "Ich kann Filter setzen, muss die Mails nicht ständig checken sondern nur zu ausgewählten Zeiten, so kann man sich besser auf einzelne Arbeitsabläufe konzentrieren."

Tiefer liegende Probleme

"Im Endeffekt arbeiten viele wie in den Siebzigerjahren, was den Einsatz des Programms betrifft", gibt Meier zu bedenken. Das Ausdrucken wichtiger E-Mails ist ein wohlbekanntes Beispiel dafür. "Ich behaupte, dass viele Probleme, die mit E-Mail hochkommen, ihre Ursachen woanders haben", so der Berater. Der verbreitete Usus den Vorgesetzten immer in Kopie zu setzen, beruhe darauf, indirekt wieder Verantwortung abzugeben. Und 'alles an alle' zu senden, heiße indirekt: irgendjemand wird schon zuständig sein. Jeder tue es, doch alle sehen sich als Opfer. Dabei kann jeder selbst zu einem besseren E-Mail-Stil beitragen: "Unnötige Mails vermeiden, die Funktion 'Reply to all' nicht leichtfertig verwenden", so der Rat der Kommunikationswissenschafterin - ein simpler, aber scheinbar wenig beachteter, wie der Blick auf den E-Mail-Eingang täglich zeigt. (Marietta Türk, derStandard.at, 14.10.2009)