Berlin - Union (CDU/CSU) und FDP wollen die Laufzeitbegrenzung für die deutschen Atomkraftwerke komplett streichen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) bestätigte am Freitag in Berlin entsprechende Pläne der künftigen Koalitionspartner, die am Donnerstag bekannt geworden waren. Umweltverbände kritisierten das Vorhaben als unverantwortlich und kündigten Proteste gegen eine Abkehr vom Atomausstieg an.
"Das Ziel ist klar: Wir wollen die Verkürzung der Laufzeiten unserer Kernkraftwerke zurücknehmen, wollen damit die Unabhängigkeit der deutschen Stromproduktion stärken und wollen die Abhängigkeit von Gasimporten oder Stromimporten aus Frankreich, aus Osteuropa vermindern", sagte Oettinger vor Beratungen der Koalitionsarbeitsgruppe Wirtschaft und Energie. Die Laufzeit der Atomkraftwerke solle künftig allein vom Stand der Technik und der Nachrüstung abhängen und nicht vom Gesetzgeber.
Oettinger kündigte weiter an, die neue Bundesregierung wolle im Gegenzug mehr als die Hälfte der zusätzlichen Gewinne der Energieunternehmen durch die Laufzeitverlängerung in die Erforschung, Markteinführung und Förderung erneuerbarer Energien stecken. "Das heißt: Kernkraft mit längerer Laufzeit bringt schneller erneuerbare Energien", sagte der CDU-Politiker. Bei den Zusatzgewinnen erwarte er "einen hohen einstelligen Milliardenbetrag pro Jahr". Bereits 2011 sollten davon die ersten Beträge über eine Stiftung oder in anderer Form in die erneuerbaren Energien fließen.
Der deutsche Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) fügte hinzu: "Wir bauen auf einen gesunden Energiemix, wir bauen aber gleichzeitig darauf, dass die Alternativen nicht ausgeblendet werden, aber dass eine Brückentechnologie auch erhalten bleibt."
Bereits am Donnerstag war ein Arbeitspapier der Koalitionsarbeitsgruppe für Umwelt bekannt geworden, das ähnliche Aussagen enthielt. "Mit dieser Entscheidung stellt sich die künftige Koalition gegen die Mehrheit der Bevölkerung", erklärte der Vorsitzende des Umweltverbandes BUND, Hubert Weiger. Die nun offenbar geplante vollständige Freigabe der AKW-Laufzeiten habe "nichts mit der von Union und FDP angeblich gewollten Brückentechnologie hin zu erneuerbaren Energien zu tun."
"Die Öffentlichkeit soll beruhigt werden", erklärte Henrik Paulitz von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW hinsichtlich angekündigter zusätzlicher Sicherheitsauflagen. Nebulös sei zum Beispiel die Ankündigung, wonach ältere Anlagen einen baulichen Schutz gegen Flugzeugabstürze erhalten müssten. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte Union und FDP auf, unverzüglich für eine Abschaltung der besonders störanfälligen und veralteten Meiler Biblis A und Neckarwestheim 2 zu sorgen.
In dem Papier der Koalitionsarbeitsgruppe Umwelt: "Die Kernenergie wird als Übergangs- und Brückentechnologie so lange benötigt, bis klimafreundliche und kostengünstige Alternativen zur Stromerzeugung in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen und grundlastfähigen Strom erzeugen können. Daher wird die Laufzeitbefristung der deutschen Kernkraftwerke auf 32 Jahre aufgehoben." Die Erkundung des Salzstocks Gorleben als mögliches Endlager soll wieder aufgenommen werden.
Die Atompolitik ist Thema sowohl in der Arbeitsgruppe für Umwelt als auch in der für Wirtschaft und Energie, die beide am Freitag ihre Beratungen fortsetzten. Abschließende Entscheidungen werden erst kommende Woche erwartet. (APA)