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Bei Y. S. Laurent regiert Pragmatismus.

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Bei Louis Vuitton gibt's die Radlerhose zur fransigen Couture-Jacke.

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Leider hielten die Pariser Designerschauen für Frühjahr/Sommer 2010 nicht, was der verheißungsvolle Auftakt versprach. Hat die Krise nun auch die Mode eingeholt? Das kreative Feuerwerk, das Nicolas Ghesquière für Balenciaga und Christophe Decarnin für Balmain zu Beginn entfachten, war bald verpufft. Was folgte, war der Wunsch, leicht Verständliches, und somit leicht Verkäufliches, in schwierigen Zeiten zu bieten. Ist die Fantasie beim Realitäts-Check unterlegen?

Nicht ganz. Zumindest optisch unternahmen die Pariser Designer alles, um erst gar nicht diesen Eindruck aufkommen zu lassen. Seinen martialischen Aufbau aus Eisenträgern taucht John Galliano bei Dior in gespenstisch grünes Licht und bemüht im Pressetext Lauren Bacall als Inspiration, Hollywoods Femme fatale. Also paradiert ein Trenchcoat, auf Jackenlänge gestutzt, in Endlosschleife über den Laufsteg, mal klassisch in Beige, mal in Spitze, Leder oder Python. Dazu wippen schenkelkurze Satinröckchen oder seidige Shorts mit Spitzenkanten, wie aus der Wäscheabteilung. Brikettdicke Plateausohlen mit hohen Keilabsätzen sorgen für Endlosbeine.

Natürlich ist auch Alber Elbaz bei Lanvin klug beraten, wenn er den Erfolg seiner gegenwärtigen Herbst- und Winterkollektion mit dem synthetischen Glanz neuer Stoffe in Schwarz oder strahlenden Tropenfarben auf den Sommer überträgt. Von ein paar breitschultrigen Smokingjacken einmal abgesehen, drapiert er - mal rechts, mal links, mal auf der Hüfte oder der Schulter - immer dasselbe Kleid. Was braucht man auch mehr als ein Cocktaildress, um über die Saison zu kommen? Das mochten sich auch Maria Grazia Chiuri und Pier Paolo Picciolo gedacht haben und beschränken sich für Valentino auf einen schenkelkurzen Organzatraum mit üppig wuchernden Volants an Armen, Saum und Dekolleté, den sie immer wieder aufs Neue variieren. Sich in Krisenzeiten auf das zu besinnen, was man kann, ist legitim, doch der große Couturier konnte einst alles, vom Mantel bis zum Abendkleid.

Das zeigt zwar Jean-Paul Gaultier bei Hermès, aber ganz im Zeichen des weißen Sports. Also folgen weiße Tennisblazer und weiße Tennisröckchen auf weiße Tenniscardigans, und weiße Shorts wechseln mal die Farbe, aber nie den Stil. Selbst Dries Van Noten zeigt, was er immer zeigt, nur diesmal mit wunderschönen Stoffen aus Indien und Japan. Doch vielleicht sind Frauen ganz glücklich, Vertrautes in neuen Farben und Mustern immer wiederzufinden.

Trotzdem sind Einzelteile, bunt durcheinandergewirbelt in Kombinationen, für die Mode keine Lösung. Da hilft auch nicht, dass Marc Jacobs seinen Mädchen bei Louis Vuitton riesige Afro-Perücken aufsetzt, um Hippie-Feelings zu evozieren.

Umhängetaschen bei Vuitton 

Was auf den ersten Blick entsetzlich banal aussieht, entfaltet bei genauerem Hinsehen jedoch Couture-Anspruch, wenn die Bänder einer Corsage kunstvoll in ein Leibchen aus Netz geflochten sind. Dazu wirken Radlershorts unter Wipperöckchen ebenso jung wie die dicken Fransenkanten an Jeansjacken. Das muss man nicht mögen, solange nur die neuen, großen Umhängetaschen am breiten Gurt gefallen, den man wieder quer über den Oberkörper trägt.

Was junge Frauen im nächsten Frühjahr und Sommer aber wirklich wollen, zeigen vielleicht drei Designerinnen, die selbst - Mitte dreißig, berufstätig, verheiratet, Kinder - jenem Typus der "modernen Frau" entsprechen: Stella McCartney, Hannah MacGibbons für Chloé und Phoebe Philo, die einst bei Chloé entwarf und nun bei Céline Premiere hatte. Alle drei entscheiden sich für schmucklose Männeranzüge im "Boyfriend's Cut", nicht korrekt, sondern lässig geschnitten, mit leicht konisch verlaufenden Bundfaltenhosen. Bringt Phoebe Philo für Céline Klarliniges mit standhaften Stoffen für Trench-Schnitte mit Military-Details ins Spiel, so zeigt bei Chloé Hannah MacGibbons Grobes mit Öko-Touch in Heu- und Basttönen.

Den Spagat aus sachlichem Pragmatismus für den Tag mit streng geschnittenen, breitschultrigen Hosenanzügen und einem romantischen Eskapismus für die Mußestunden beherrschen auch Stefano Pilati bei Yves Saint Laurent und Givenchys Riccardo Tisci, der seine bislang beste Kollektion zeigte. Überzeugt Letzterer mit viel Liebe zur Geometrie, so verblüfft Pilati mit Glitzererdbeeren auf einem Wickelrock.

Sie hätten gut zu Karl Lagerfelds Erntedankfest bei Chanel gepasst mit Heustadel, Blumengirlanden und Lily Allen unterm Scheunendach. Zum Finale wälzte sich ein junger Mann mit zwei Mädchen im Heu. Vor lauter Staunen hätte man fast Chanels kleine Tweedkostüme mit seitlich geschlitztem Röckchen verpasst, die altgolden überstickten Minikrinolinen nicht gesehen. Für Letztere zumindest wäre es ein Segen gewesen. (Peter Bäldle aus Paris/Der Standard, Printausgabe 10.10.2009)