Foto: Nick Albert/Bank Austria
Foto: Nick Albert/Bank Austria

Sigitas Parulskis wurde 2008 mit dem "Bank Austria Literaris" ausgezeichnet. Den Oktober verbringt der Litauer als "Writer in Residence" bei KulturKontakt Austria in Wien.

 

Zur Person:
Sigitas Parulskis wurde 1965 in Obeliai (Litauen) geboren und lebt in Vilnius. Er ist Lyriker, Literaturkritiker, Dramatiker und Essayist. Er hat an der Universität Vilnius Litauische Sprache und Literatur studiert. Sein Debüt hatte er 1990 mit dem Lyrikband "All dies aus Sehnsucht". Es folgten weitere Lyrikbände, Stücke und Spielbücher für das Dramentheater, Essaysammlungen und Romane. Sein erstes Buch "Drei Sekunden Himmel" wurde 2002 vom litauischen Schriftstellerverband zum besten Buch des Jahres gekürt. In deutscher Sprache ist es im Jahr 2009 erschienen (Claassen Verlag). 2004 erhielt Parulskis den Litauischen Nationalpreis für Literatur. Der Literat ist einer der Preisträger des "Bank Austria Literaris 2008" und erhielt als Preis das Milo Dor-Stipendium "Writers in Residence" von KulturKontakt Austria, das ihm einen einmonatigen Aufenthalt in Wien ermöglicht.

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derStandard.at: Robertas, der Protagonist in Ihrem Buch Drei Sekunden Himmel führt, wie Sie es beschreiben, ein "Leben in der Lücke". Gegen die Welt verspürt er große Apathie. Ergeht es Ihnen auch so?

Parulskis: (lacht) Das ist ein Buch, das ist Literatur, das ist nicht mein persönliches Leben und das kann man nicht in einem betrachten. Für mich als Mensch ist ein Tag gut, an einem anderen fühle ich mich elend, an einem anderen besser. Ich denke, dass jeder normal denkende Mensch sich auf dieser Welt nicht sehr optimistisch fühlen kann, weil es auf dieser Welt nicht genug Sonne, nicht genug Licht gibt.

derStandard.at: Sie bekommen diese Frage oft gestellt?

Parulskis: Ja, die Frage kommt vor und sie hängt mir schon zum Hals raus.

derStandard.at: Robertas ist 40 Jahre alt, hat in den achtziger Jahren seinen Militärdienst für die Sowjets als Fallschirmjäger in der ehemaligen DDR abgeleistet. Sie sind nur ein paar Jahre älter als ihr Protagonist Robertas, auch Ihnen ist es so ergangen. Robertas steht Ihrer Meinung nach für eine ganze Generation, der der Boden der Wirklichkeit fehlt: "Verloren zwischen traumatischen Gesten und ungewissem Morgen". Können Sie diese Generation näher beschreiben?

Parulskis: Das Alter ist ein Fehler der Verlegers, er hat mir das nicht gezeigt. Tatsächlich ist Robertas kein 40-jähriger sondern ein 31-jähriger Mann. Das ist wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte gegangen und jetzt steht's so und es ist nichts zu machen. Die Verleger haben den selben Fehler gemacht, der oft im Westen vorkommt: Man wird mit dem Protagonisten identifiziert und weil ich ungefähr so alt bin wurde die handelnde Person auch so alt. An diesem Buch begann ich zu arbeiten, als ich Anfang 30 war - wozu hätte ich da einen 40-Jährigen Protagonisten gebraucht?

Diese Redewendung oder diese Aussage "verlorene Generation" ist ein Klischee in der Literatur. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nur gehört wird, wenn man in oder aus der Menge spricht. Oder wenn man im Namen einer Generation, einer Richtung, spricht. Ob das Kommunismus, Faschismus oder eine Kopflosen-Gruppierung ist - gehört wird man nur in der Menge. Eine einzige Person kann sich nur wenig Gehör verschaffen.

derStandard.at: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren eigenen Militärdienst in der ehemaligen DDR? Wie lange waren Sie dort?

Parulskis: Zwei Jahre. Es ist eine Art Pech, denn dadurch werde ich auch so mit dem Protagonisten identifiziert - auch weil im Buch sehr viel meiner eignen Erfahrung steckt. Ich war dort als Fallschirmspringer, bei der Sowjet-Arme, wir wurden eingezäunt, das ganze hat sich nach den Regeln der sowjetischen Armee abgespielt, es haben die sowjetischen Gesetze gegolten. Ich mag die Erinnerungen an die Armee nicht. Ich mag keine Militaristen.

derStandard.at: Aus Ihrem Buch "Drei Sekunden Himmel" soll ein Film gedreht werden. Sind Sie stolz?

Parulskis: Nein. Der Film ist noch nicht gemacht. Er war geplant, dann kam aber die Wirtschaftskrise und es wurde nichts daraus. Es wurde nur ein rund 20-minütiger Film daraus gemacht. 

Die Geschichte zur Entstehung des Filmes ist eigentlich angenehmer und interessanter: Ein italienischer Regisseur, ein Sizilianer der in Berlin und in den USA gelebt hat, kam zu mir. Er hatte eine interessante äußere Erscheinung, Tätowierungen, Glatze. Er hatte in seiner Jugend ähnliche Erfahrungen gemacht und er fand das Buch sehr interessant und hat sich vorgenommen, es zu verfilmen. Er hatte das Buch von seiner Freundin als Abschiedsgeschenk erhalten. Sie hat es ihm beim Scheitern der Beziehung geschenkt, das war eine tiefgründige Angelegenheit, denn darin stand: Wir haben gelernt uns zu bekämpfen, aber wir haben nicht gelernt zu lieben. Er hat das Buch gelesen und hatte vor, es zu verfilmen. Diese Geschichte ist schöner als der tatsächliche Ausgang.

derStandard.at: Worüber schreiben Sie derzeit?

Parulskis: Für mich ist dieser Roman (Drei Sekunden Himmel; Anmerkung) in meinem Schaffen nicht die einzige Quelle. Nach diesem Roman sind zahlreiche andere Werke erschienen, der nächste Roman, Essaysammlungen. Für mich ist das Schaffen nicht an diesem Roman zu messen. Ich habe kürzlich einen anderen Roman geschrieben, jetzt arbeite ich an einem Drehbuch für einen Film. Für mich ist das Thema des Köpfens sehr interessant, es wird eine Art Detektivthriller, in dem Natur-Abgründe des menschlichen Lebens betrachtet werden. Das Abschneiden des Kopfes bezieht sich auf biblische Zeiten, auf biblische Geschichten, David und Goliath, Judith, die Geschichte von Salome.

derStandard.at: Sind Sie religiös?

Parulskis: Nein.

derStandard.at: Sie haben schon einige Preise und Auszeichnungen erhalten, darunter den Litauischen Nationalpreis für Literatur im Jahr 2004. Wie lebt es sich als Schriftsteller in Litauen?

Parulskis: (lacht) Was bedeutet es, ein Schriftsteller in Österreich zu sein?

derStandard.at: Ist es schwierig? Haben Sie das Gefühl, von der Gesellschaft geschätzt zu werden?

Parulskis: Das sind zwei Paar Schuhe: Schreiben und das tägliche Leben. Das muss man ganz ganz deutlich unterscheiden. Denn du schreibst nicht besser wenn du ganz gut lebst. Genauso: Wenn du in armen Verhältnissen lebst heißt das nicht, dass du kein gutes Werk zustande bringen kannst. Das sind zwei unterschiedliche Dinge.

Natürlich gibt es Aspekte, durch die das Schriftsteller-Leben in Litauen beeinflusst wird: Der Markt ist kleiner, die Förderung für Kultur ist geringer, die Sprache wird von keiner besonders großen Gruppe gesprochen. Dadurch entstehen Schwierigkeiten bei der Übersetzung, weil es in den kleinen Sprachgruppen nicht so viele Übersetzer gibt.

Andererseits muss ich sagen, dass ich auch Förderung vom Staat beziehe, dass auch meine Verleger gefördert werden. Ich gebe meine Bücher nicht aus eigenen Mitteln heraus, sondern erhalte Honorare. Ich kann behaupten, dass ich nur vom Schreiben lebe.

derStandard.at: Sie sagen in einem anderen Interview, dass sie ab und zu für den litauischen Playboy schreiben. Was zum Beispiel?

Parulskis: Das sind einfach Texte, zum Beispiel über Männer und Hunde, Männer und Autos. Es ist nichts pornografisches. Man muss von irgendwas leben. Es ist eine Art Kolumne, aber sie erscheint nicht jeden Monat.

derStandard.at: Sie sind mit dem Programm "Writers-in-Residence" nach Österreich gekommen. Wie lange bleiben Sie hier?

Parulskis: Einen Monat.

derStandard.at: Wenn Sie Österreich mit Litauen vergleichen - was fällt Ihnen auf?

Parulskis: In Österreich lebt man besser. Das merkt man am Stadtbild selbst, die Straßen sind breiter, dadurch sind die Häuser höher. Das ist auch so zu erklären, dass Österreich ein Imperium war. Litauen hat es nur bis zum Fürstentum geschafft, das spiegelt sich am Stadtbild wider. Außerdem kann man die Schnurrbärte der Habsburger noch heute sehen. (Die Atmosphäre eines Kaiserreichs sei noch heute zu spüren; Anmerkung). Die litauischen Fürsten sind begraben.

derStandard.at: Die obligatorische Frage: Haben Sie das Wiener Schnitzel schon probiert?

Parulskis: Wiener Schnitzel habe ich hier nicht gegessen, ich habe es in Linz probiert und zwar im Rahmen des Kulturhauptstadt-Programms Linz liest Vilnius. Die Erwartungen waren groß, weil Wiener Schnitzel ein Begriff ist, und dann habe ich so ein Stück Fleisch in einer Panier bekommen. Das war so ziemlich anders als ich es mir vorgestellt hatte. Ich dachte, dass man beim Essen die Größe von Wien, dieses Majestätische, schmeckt. Aber das war nur ein banales Stück Fleisch. Das ist wie im Leben: Begriffe überholen meistens das Objekt selbst.

Ich erinnere ich zurück an meine Kindheit: Schnitzel war etwas besonderes. In Litauen war es aus Faschiertem, das war in der Schule etwas besonderes, weil man das zu Hause nicht bekommen hat. Daher kommt vielleicht diese Enttäuschung über das Wiener Schnitzel, weil ich als Kind ganz andere Erinnerungen daran hatte. Und diese haben sich so im Kopf festgesetzt, dass sie das "echte" Wiener Schnitzel nicht vertreiben konnten.

derStandard.at: Sie sind 1965 geboren, als Litauen Teil der Sowjetunion war. Als Sie Mitte 20 waren, ging der Weg langsam in Richtung Freiheit. Sie haben sozusagen in "beiden Welten" gelebt. Wie haben Sie diese Sowjet-Zeit erlebt, wie die Zeit nach der Unabhängigkeit?

Parulskis: Es ist absolut nicht möglich das zu vergleichen. Ich war damals noch sehr jung, ich war 23, und ich war noch kein Schriftsteller. Die Wertungen sind sehr eng mit der Zeit verbunden, auch insofern, als Alter und Erfahrungen ausschlaggebend sind. Ich hatte ganz andere Erfahrungen als ich jung war und als Junger betrachtest du Pioniere und andere Bewegungen ganz anders als eine erfahrene Persönlichkeit. Du siehst das alles ganz anders. Das sind ganz unterschiedliche Erfahrungen und die kann man nicht so vergleichen wie zum Beispiel zwei Gegenstände, die man gleichzeitig erwirbt. Die Zeit verändert den Menschen sehr, die Vergangenheit spiegelt sich im Täglichen wider und ein Vergleich ist immer mit sehr vielen subjektiven Eindrücken verbunden. Eine objektive Einschätzung kann man kaum machen.

Es ist eine wahnsinnig komplizierte Frage, die Zeit besser oder schlechter zu verleben. Damals habe ich den Begriff "Freiheit des Wortes" nicht gekannt, ich war kein Schriftsteller. Ich habe keine Erfahrung so wie die älteren Schriftsteller, die mit Zensur zu tun hatten und gewisse Erfahrungen gesammelt haben. Das war für mich nicht aktuell. Die Kindheit ist für mich sehr bedeutend. Wenn wir einen Österreicher fragen, der in den Nachkriegsjahren ein Kind war, wird er sagen, dass trotz der vielen Trümmer die Kindheit schön und hell sein kann. Und das ist bei mir auch so: Die Kindheit, die jungen Jahre bedeuten mir sehr viel. Egal, ob ich was hatte oder nicht. Ob ich vollgekotzt oder mit voller Hose irgendwo gelegen habe. Das war meine Zeit, die für mich sehr bedeutend ist.

derStandard.at: Beschreiben Sie das Litauen von heute - was mögen Sie an Ihrem Land, was stört Sie?

Parulskis: (lacht) Litauen - was ist Litauen? Ich bin kein Reiseführer, dass ich das Land vorstellen könnte. Ich mag mein Vaterland, obwohl Litauer manchmal idiotisch sind - aber Idioten gibt es in jedem Land und Idiotenpolitiker kommen auch in jedem Land vor. Der Unterschied ist, dass die großen Staaten besser mit idiotischen Politikern umgehen können und in kleinen Staaten die Ressourcen begrenzter sind. Es gibt weniger zu stehlen. (Maria Kapeller, derStandard.at, 11.10.2009)