Es stinkt nach Fäkalien und Leichen, hungernde Kinder hausen in Ruinen voll Unkraut, das ist keine Apokalypse in einem Science-Fiction-Film, das ist Tokio im Sommer 1946. Hiroshima und Nagasaki sind im Atombombenfeuer verglüht, der neue Kaiser heißt McArthur. Inspektor Minami (41) wird zu einem Mordfall gerufen. Eine Groteske, denn wer kümmert sich schon um ein paar verschwundene Mädchen angesichts hunderttausender Toter. Der Veteran Minami, krank und von seinen grauenvollen Flash-backs aus dem Krieg geplagt, kann nicht mehr schlafen. Seine Schlaftabletten bekommt er - gegen Informationen - von einem Unterweltboss. Die Gangster haben sich zusammengetan und eine Recreation and Amusement Association gegründet, die dazu dient, die Sieger zu "unterhalten".

Minami recherchiert in den einschlägigen Bordellen, in denen 14-jährige Japanerinnen vergewaltigt werden. Oder sind sie Opfer eines Einzeltäters geworden? Will überhaupt jemand, dass Minami die Wahrheit herausfindet? Man darf sich von David Peace keinen "gewöhnlichen" Krimi erwarten, aber Tokio im Jahr null ist sowohl formal als auch inhaltlich weit über das Genre hinausweisend. Es ist ein verstörender Text, fragmentiert durch Einschübe, Monologe, halb ausgeführte Sätze, die sich wie ein schwarzes Mantra in hypnotisierender Weise wiederholen. Peace hat lange in Tokio gelebt; seine Kenntnisse des Landes und seiner, für uns oft widersprüchlichen, Kultur eliminieren jeden Exotismus. (Ingeborg Sperl, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 03./04.10.2009)

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