Donnerstag, 17.9.2009, 18.15 Uhr, Berlin
Offtag. Erst spät in der Nacht geht es wieder auf den Bus und nach München. Aber das wird eine andere Geschichte sein. In diesem Blog wird München keine Rolle spielen. Mit München muß man niemanden versöhnen, denke ich gerade, schon gar nicht die Österreicher, München hat den Österreichern viel Gutes beschert, es hat ihnen Lothar Matthäus gegeben und Senta Berger genommen, da brennt nichts mehr an zwischen München und Österreich, da ist jede Versöhnungsarbeit nur das Prügeln einer Animositätsleiche, von der niemand weiß, ob sie überhaupt je gelebt hat. Da klingelt das Telefon und Hamburg-Heiner ist dran.
Sven: Hamburg, ich mag nicht mehr. Ich bin durch. München mach ich nicht, die sind auch immer so sensibel da, außerdem sind die fremdenverkehrsmäßig 1a aufgestellt und...
HH: Ruhig, mein Freund, dieser Blog scheint dich ja ziemlich mitzunehmen.
Sven: Dieses Blog heißt es eigentlich, das wollte ich schon immer mal sagen.
HH: Man muß mit der Zeit gehen, mein Freund.
Sven: So wie du immer „mein Freund" sagst, klingt das irgendwie nach schlechter Nachricht.
HH: Es gibt keine schlechten Nachrichten, es gibt nur falschen Optimismus, mein Freund.
Sven: Aber dies wird für den Standard mein letztes Posting sein.
HH: Falsch. Dies wird für den Standard dein letzter Eintrag sein. Bei den Österreichern sind die Postings das, was bei uns Kommentare heißt. Und da geht sicher noch einiges.
Sven: Vor allem, wenn erstmal der Pornospam dazukommt, der kommt nämlich erst, wenn keiner mehr aufpaßt, dann bricht der Pornospam da ein und plötzlich gibt es da 20000 Kommentare und keiner davon bezieht sich mehr auf Königgrätz.
HH: Was wir nicht mehr erwähnen wollten. Was wir aber hätten erwähnen sollen und was mich traurig macht, daß es vergessen wurde: Andreas Herzog.
Sven: Der Andi!
HH: Ja. Das wäre der andere berühmte Bremer gewesen, der eigentlich Wiener ist. Wie konnte dir als Bremer das passieren?
Sven: Auf Fußball habe ich mich irgendwie überhaupt nicht konzentriert, den habe ich eigentlich bewußt außer acht gelassen, weil das weiß ja jeder, daß wir da gegen die Österreicher keine Chance haben.
HH: Auch wieder wahr.
Sven: Das muß jetzt auch bald mal vorbei sein, ich krieg schon freudsche Verleser, diese Österreichsache macht mich ganz wuschig. Gestern morgen in Köln hatten die so ein Werbeschild für eine „Kardiologische Praxis am Dom", und weißt du, was ich gelesen habe?
HH (gähnt): Nein, irgendwie nicht.
Sven: „Katholische Praxis am Dom". Tu dir das mal rein.
HH: Sehr interessant. Und auch wünschenswert. Und paßt gut zu dem, was ich dir sagen soll: Köln muß noch mit rein.
Sven: Wieso Köln?
HH: Alles, was du bis jetzt gemacht hast, waren Städte nördlich der Benrather Linie, da brauchen wir wenigstens eine Stadt aus den sprachlichen Übergangsgebieten.
Sven: Wie bist du denn jetzt drauf? Was hat das denn damit...
HH (unbeirrt): Außerdem waren diese Städte alle protestantisch. Das hatte jetzt alles einen ziemlich norddeutschen Einschlag, mein Freund.
Sven: Na gut, aber bei Heimito von Doderer heißt es ja auch, daß der Norddeutsche dem Wiener „konsolidiert fremd" sei, da ist ja klar, wo der Versöhnungsgedanke als Brechstange angesetzt werden muß, um überkommene Feindschaften aus den Angeln zu heben.
HH: Achtung, Sven, Metaphernfalle. Finger weg. Versuch es mit Köln und über den katholischen Ansatz, daß die Österreicher nicht am Ende denken, wir seien alle evangelisch in Deutschland.
Sven: Aber in Berlin ist das doch auch immerhin fifty-fifty mit katholisch und protestantisch!
HH: Ja, aber fifty-fifty, da stehen die Österreicher nicht drauf, Sven. Die scheißen auf die Ökumene. Deshalb ist ja Köln so wichtig.
Sven: Aber dann ist Schluß?
HH: Dann ist Schluß. Und dann darfst du Schluss auch wieder mit Doppel-s schreiben, wie es neuerdings modern ist.
Sven: Ich bin eigentlich dagegen. Genau wie der Rafik Schami. Der liebt auch die Ligatur.
HH: Rafik Schami ist ein feiner Kerl, und du, Sven, sollst nicht ablenken! Köln! Und mach's schön katholisch.
Versuch über Köln
Köln ist eine Stadt, die von ihren Bewohnern abgöttisch geliebt wird. Gegen die Kölner Heimatliebe ist die Hamburger Hamburgbeweihräucherung der pure Selbsthaß. Als Nichtkölner etwas über Köln zu schreiben und gar zu veröffentlichen, das ist wie das Spielen mit Nitroglyzerin. Ich bin doch nicht bescheuert! Nur so viel: Köln ist gut katholisch und liegt leicht südlich der Benrather Linie. Endemisches Essen: Himmel un Ääd. Die Sprache, die hier gesprochen wird, heißt Kölsch (vgl. Bap, Brings, Bläck Fööss et alteri). Das Bier, das man hier trinkt, heißt auch Kölsch. Ein Drittel der Erwerbsbevölkerung beschäftigt sich mit der Herstellung von Kölnisch Wasser, ein anderes Drittel spielt in Kölsch-Rock-Bands. Der Rest bereitet den Karneval vor. Einwohner: knapp eine Million. Hier hat niemand eine Meinung zu Königgrätz etc., weil Österreich nicht in Köln liegt und deshalb unbekannt ist. Allerdings liegt mitten in Köln und gleich beim Dom die Bäckerei Metternich. Berühmte Kölner: Willi Millowitsch. Berühmte Kölner, die keine sind: Alice Schwarzer. Berühmte Kölner, die eigentlich Wiener sind: Toni Polster. Beliebte Kölner Lieder: Mer losse d'r Dom en Kölle, Viva Colonia. Wappen: Flammen und Kronen. Bundesland: Nordrhein-Westfalen.
HH: Das war's dann ja wohl.
Sven: Auf jeden.
HH: In Hamburg sagt man tschüß.
Sven: Mit ß, weil nämlich nach langen Vokalen und Diphtongen auch heute noch das ß geschrieben werden muß. Tschüss mit kurzem ü sagt man eher in Westfalen.
HH: Ist alles nicht so schlimm. Es wird ein ß sein und mir wern nimmer sein.
Sven: Sollte man noch erwähnen, daß „tschüß" von adieu kommt und in Köln „Tschöö" ausgesprochen wird?
HH: Auf jeden!
Sven: Dann sagen wir jetzt leise Servus.
HH: Auf jeden!
Sven: Keine langen, sentimentalen Abschiedsreden.
HH: Auf keinen!
Und dann legt er auf.
Bäckerei Metternich in Köln. Zweiter von rechts: Herr Strudl von der Universal.