Straßburg - Das Europaparlament stimmte heute über eine zweite Amtszeit von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ab. Gestern, Dienstag, kündigte er den Abgeordneten in Straßburg eine enge Zusammenarbeit mit dem Parlament an und warnte vor der Gefahr eines "ekligen Nationalismus" .

Barroso will zudem den neuen Posten eines Klimakommissars schaffen. Außerdem will er einen eigenen Kommissar für Justiz, Grundrechte und bürgerliche Freiheiten (Menschenrechtskommissar) und einen "Migrationskommissar" einführen, der auch die Solidarität der EU-Staaten in diesem Bereich stärken soll.

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In den Stunden vor dem vermutlich größten Triumph in seiner politischen Karriere - der Wiederwahl zum Präsidenten der EU-Kommission - präsentierte sich José Manuel Barroso vor den Europaabgeordneten in Straßburg am Dienstag als besonders kooperativer und besonnener Präsident: "Europas zentrale Werte sind Freiheit und Solidarität. Kommission und Parlament sind im Herzen der Integration angesiedelt, ihnen kommt eine besondere Aufgabe beim Aufbau Europas zu" , sagte er. Und gelobte: "Ich werde eine ganz enge Zusammenarbeit mit dem Parlament pflegen, werde ihre Vorschläge aufgreifen, mich regelmäßig Fragestunden stellen."

Einige Kritiker sahen das geradezu als gefährliche Drohung einer "sozialpolitischen Sphinx" an, die sich nie wirklich festlege, dem jeweiligen Auditorium "nach dem Mund redet" und doch nur Liberalisierung wolle. Aber der Applaus einer großen Mehrheit des Plenums war Barroso bei der "feierlichen Erklärung" seiner politischen Leitlinien dennoch sicher. Seit jeher wähnen sich die EU-Abgeordneten vom Ministerrat und der mächtigen Brüsseler EU-Zentralbehörde klar benachteiligt, fühlen sich nicht ernst genommen. Da tut es gut, wenn der künftige Machthaber sich so kooperativ zeigt.

Dabei sprach er etwas an, was im Falle des Inkrafttretens des EU-Vertrags von Lissabon ohnehin schlagend wird: mehr Einfluss des Parlaments bei der europäischen Gesetzgebung. Inwieweit sich diese Applaus-Mehrheit für Barroso auch beim Abstimmen niederschlägt, wird man heute, Mittwoch, genau sehen. In geheimer Wahl müssen die 736 Abgeordneten auf den Ja-Knopf oder auf den Nein-Knopf drücken. Wer sich der Stimme enthält, wie das ein Großteil der zweitstärksten Fraktion, der Sozialdemokraten, ankündigte, senkt die Schwelle für die einfache Mehrheit der abgegeben Stimmen. Nur die Grünen und die Linke wollen gegen Barroso votieren. Dass dieser eine Mehrheit bekommt, steht fest, denn die "politischen Spielchen" seien zu Ende, so der VP-Abgeordnete Othmar Karas. VP-Delegationschef Ernst Strasser rechnete mit einem geschlossenen Ja der Christdemokraten, in der mit 265 Abgeordneten mächtigsten Fraktion. Sie werden in den kommenden Jahren in Straßburg den Ton angeben.

Feinspitze im Parlament wandten sich daher ganz der Frage zu, ob Barroso sogar über 400 Stimmen erhalten werde. Das wäre eine satte Mehrheit, entspräche auch der "qualifizierten Mehrheit" nach dem neuen Lissabon-Vertrag, würde ihm bei der Kommissarsauswahl deutlich den Rücken stärken.

Und er kann auch mit den meisten Stimmen der Liberalen, der Konservativen, auch einigen Dutzend von den Sozialdemokraten rechnen. So konzentrierte sich SP-Fraktionschef Martin Schulz rhetorisch schon ganz darauf, von Barroso Zugeständnisse auf sozialpolitischem Gebiet wie auch bei der Besetzung der Kommissare "mit Sozialdemokraten in Schlüsselpositionen" einzufordern - sprich Binnenmarkt, Wettbewerb. Dass seine SP "nicht für Barroso stimmen" werde, klang schon ganz nach Pflichtübung. Barroso schien das zu spüren. Am Ende seiner Rede ging er noch einmal in die Offensive: Mit leidenschaftlichen Worten warb er darum, dass "wir gemeinsam die Globalisierung nach unseren Werten gestalten und nicht bloß ertragen" , mit "grünem Wachstum" . Und: "Wir laufen in Zeiten der Angst Gefahr, dass ein ekliger Nationalismus entsteht" , schrie er, "dass die Integration infrage gestellt wird." Demgegenüber gelobe er feierlich, dass Solidarität, der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ins Zentrum rücken werde, ebenso der Kampf gegen Klimawandel, die Bewältigung der Migration.

Am Schluss überraschte er das Plenum mit ganz neuen Vorschlägen zur Personalgestaltung der Kommission: "Ich werde einen Kommissar für Justiz, Grundrechte und bürgerliche Freiheiten und auch einen eigenen für Migration und im Binnenmarkt einführen." Die Vorgehensweise dabei müsse klarer werden. Das sei nötig - "eine Kultur des Wandels" , rief er und setzte den Schlusspunkt: "Wir brauchen auch einen eigenen Klimakommissar. Ich werde einen einsetzen." (Thomas Mayer aus Straßburg/DER STANDARD, Printausgabe, 16.9.2009)