Bloß nicht mit einem Pokemon verwechseln: Der Totoro (rechts) lässt Menschenkinder nicht allein im Regen stehen - und er wacht verlässlich über die Werke seines Erfinders im Studio Ghibli.

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Hayao Miyazaki, japanischer Anime-Meister.

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Wien - Der Totoro ist ein großes, freundliches Wesen. Er hat einen pelzigen, eiförmigen Körper, große Augen und spitze Öhrchen obendran. Manchmal gibt er zufriedene Gurrlaute von sich. Er isst gerne Nüsse und schläft viel im Inneren eines Walddickichts.

Der Totoro ist die Art von Wesen, deren Existenz sich dem menschlichen Bedürfnis nach Gesellschaft, Schutz, ein bisschen Kuscheln und Alles-andere-einmal-kurz-Vergessen verdankt. Als so ein guter Geist wird er von einem kleinen, aus seiner vertrauten Welt gefallenen Mädchen erkannt: Mei ist gerade mit ihrem Vater und ihrer älteren Schwester in ein neues Haus gezogen, ihre Mutter liegt im Krankenhaus. Der Totoro wird für Mei in dieser zeitlos gültigen Beschreibung einer wesentlichen Erfahrung vorübergehend Mamaersatz, Spielgefährte und Retter in der Not.

Aber der Titelheld von Mein Nachbar Totoro (1988) wacht auch als Wappentier des Studios Ghibli über die Werke seines Schöpfers: Hayao Miyazaki hat sich nicht nur diese Kreatur ausgedacht - und dann mit dutzenden Assistenten in viel Kleinarbeit auf die Leinwand gebracht.

Er hat auch den gemächlich vor sich hin stinkenden Faulgott erfunden (Chihiros Reise, 2001). Oder ein aus vielerlei Versatzstücken zusammengeschustertes Schloss, das auf zwei Paar metallenen Hühnerbeinen wackelig durch die Gegend stakst (Das wandelnde Schloss, 2004). Oder die Ohms: gewaltige Krustentiere mit einem ganz zarten taktilen Apparat, der in Kontrast zu ihren hartgepanzerten Körpern steht (Nausicaä aus dem Tal der Winde, 1984).

Sie alle bevölkern ein sich seit Jahrzehnten ausdehnendes, nach wie vor großteils handgezeichnetes Universum, welches im Animationsfilm längst seinen ganz eigenen Platz behauptet - neben älteren und jüngeren US-Größen wie Disney, Pixar und DreamWorks haben sich im Kino allenfalls die britischen Aardman Animations vergleichbar weltumspannend positioniert. Auch daran, dass Animationsfilme inzwischen prominent auf den großen Festivals laufen und immer wieder Preise bekommen, hat Miyazaki seinen Anteil. Vor allem Chihiros Reise wird 2001/ 2002 mit einem wahren Trophäenregen, inklusive Oscar, bedacht - gleichzeitig ist der Film nicht nur in Japan ein Publikumserfolg.

Begonnen hat diese Karriere unspektakulär: Miyazaki, geboren 1941, stammt aus einem großbürgerlichen Haushalt, sein Vater produziert Flugzeugteile (ein biografisches Detail, das später unübersehbar in die Filme des Sohnes Eingang findet). In den frühen 60er-Jahren beginnt er als Zeichner und Animateur für die Toei Trickfilm Studios zu arbeiten, er lernt dort zwei Kollegen kennen, die ihn bis heute begleiten: seine spätere Ehefrau Akemi Ota und seinen späteren Firmenpartner Isao Takahata.

Die nächsten zwanzig Jahre wechselt Miyazaki mehrmals den Arbeitgeber, wirkt an TV-Serien mit (Conan, The Boy of The Future) und realisiert 1979 mit Lupin III - Das Schloss des Cagliostro seinen ersten Langfilm. Der Erfolg des Öko-Märchens Nausicaä bereitet den Weg für die Gründung von Studio Ghibli, gemeinsam mit Takahata. Die Musik zu Nausicaä hat Joe Hisaishi komponiert, der ebenfalls ein kreativer Weggefährte bleibt (und der seine verspielten Scores auch für Takeshi Kitanos Filme schreibt).

Die Filme drehen sich im Kern um existenzielle Erfahrungen - ob es dabei um die Selbstbehauptung der kindlichen Heldinnen geht oder um große humanistische Anliegen wie den Schutz des Planeten. Sie orientieren sich an der Realität, die bei aller oberflächlichen Vereinfachung mit genauem Blick für Details nachgezeichnet wird.

Gleichzeitig nützen sie all jene fantastischen Freiheiten, die der Animationsfilm mit sich bringt (und die die "Beseelung" der Dingwelt ebenso erlauben wie die reine Erfindung). Ihre Titel lassen bereits erahnen, dass Miyazakis Arbeiten ein Naheverhältnis zu Märchen und Fabeln unterhalten, ebenso zu fantastischer Literaturwie Alice im Wunderland.

Das Filmcasino lädt nun mit einer großen, längst fälligen Retrospektive zur Entdeckung dieses eigenwilligen Bilder- und Figuren-Universums ein - oder zum Wiedersehen. Nur die jüngste Miyazaki-Schöpfung, Ponyo, ist leider einer unglücklich verwirkten Rechtesituation zum Opfer gefallen. Da ist selbst der Totoro machtlos. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 16. 9. 2009)