Unter Zwang? Jaromir Czernin verkaufte 1940 Adolf Hitler die "Malkunst" von Jan Vermeer. Das Gemälde hatte sich seit dem frühen 19. Jahrhundert in Besitz der Czernins befunden. Seit 1946 hängt es im KHM - als Highlight der Gemäldesammlung.

 

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Andreas Theiss: "Jaromir Czernin hatte keine Wahl."

 

Zur Person:
Andreas Theiss, 1946 in Gmunden geboren, ist Seniorpartner der Wiener Kanzlei Wolf Theiss.

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Der Vertreter der Familie, Rechtsanwalt Andreas Theiss, erklärt im Gespräch die Beweggründe und Argumente.

Wien – Anfang 1998, nach der Beschlagnahme zweier Schiele-Gemälde aus der Sammlung Leopold in New York, wurde die NS-Raubkunst zum bestimmenden Thema: Am 14. Februar veröffentlichte der Standard seine Recherchen über den Fall Rothschild, eine Woche später startete Standard-Autor Hubertus Czernin die Serie Das veruntreute Erbe, in der er u. a. den Fall Bloch-Bauer (Klimts Goldene Adele) darlegte.

In der Ausgabe vom 26. Februar 1998 beschäftigte sich Czernin ausführlich mit der Malkunst von Jan Vermeer, die ein Verwandter, Jaromir Czernin, 1940 Adolf Hitler für das geplante Führermuseum in Linz verkauft hatte. Der Journalist kam nach Durchsicht der Akten im Denkmalamt zum Schluss, dass die Restitution in den Nachkriegsjahren "zu Recht nicht erfolgt ist".

Nun, dreieinhalb Jahre nach dem Tod von Hubertus Czernin, gelangte die Familie zu einem anderen Ergebnis: In einem mit 31. August 2009 datierten Schreiben wird die Rückgabe des außerordentlich wertvollen Gemäldes "angeregt". Andreas Theiss, der Anwalt der Familie, erklärt die Beweggründe.

Standard: Wie kam es zu diesem Meinungsumschwung?

Theiss: Es stimmt, die mannigfaltigen Restitutionsbemühungen waren fehlgeschlagen. Die letzte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes datiert aus dem Jahr 1960; Sophie Huvos Czernin, eine Tochter von Jaromir Czernin, hat aber nie aufgehört, sich mit dem Bild zu befassen. Da sich die Position der Republik zu den Vorkommnissen im Dritten Reich grundlegend verändert hat, hat mich Sophie im Namen ihrer Brüder vor ungefähr zwei Jahren mit der Causa befasst. Wir haben daraufhin Michael Wladika ersucht, einen objektiven Befund zu erstellen. Wladika ist ein hervorragender Provenienzforscher: Im Auftrag des Kulturministeriums prüft er z. B. die Herkunft der Bilder des Leopold Museums. Er hat über ein Jahr lang die relevanten Dokumente gesichtet. Aufgrund dieser gründlichen Untersuchung kamen wir zu einem anderen Ergebnis als Hubertus Czernin, der all diese Dokumente nicht zur Verfügung hatte. Ich bin überzeugt, hätte er auch diese Dokumente gekannt, hätte er unsere Einschätzung unterstützt.

Standard: Warum regen Sie die Rückgabe nur an? Sie könnten doch auch auf Herausgabe klagen ...

Theiss: Wir sind überzeugt, dass die Republik die Angelegenheit offen und ehrlich abhandelt und weitere Schritte nicht erforderlich sind.

Standard: Was hat Michael Wladika nun Neues herausgefunden? Beziehungsweise: Wie sieht Ihre Argumentationslinie aus?

Theiss: Die Gerichte und Behörden kamen zum Ergebnis: Partner haben etwas auf Augenhöhe ausgehandelt, Czernin hat das Gemälde 1940 ohne Druck an Hitler verkauft und einen angemessenen Kaufpreis dafür bekommen. Diese Sicht ist erschütternd. Es wurde genauso argumentiert wie im Dritten Reich. Dabei haben wir es mit einem der schlimmsten Kriegsverbrecher, Massenmörder und Diktatoren zu tun. Jaromir Czernin hingegen war der Schwager von Kurt Schuschnigg, einem Feind Hitlers. Nach dem Einmarsch der Deutschen in die ÈSR wurde ihm das Eigentum an der Herrschaft Marschendorf entzogen, und er wurde aus dem Sudetengau verwiesen. Zudem war seine zweite Frau, Alix May, nach den Nürnberger Gesetzen ein Mischling zweiten Grades, die nach der aktuellen Forschung ebenso wie Juden gefährdet waren. Sie hatte ihren Wohnort Stein bei Nürnberg verlassen müssen, weil sie dort nicht mehr sicher war. Unbekannte hatten, so ihre Tochter Sophie Czernin, an die Hausmauer geschmiert: "Alix May das Judenschwein muss raus aus Stein."

Standard: Das war aber vor 1938.

Theiss: Das schon. Aber Alix musste später den Judenstern tragen. Und Jaromir Czernin stand unter Druck. Bereits im Jahr 1935 hatte Hitler den Wunsch geäußert: "Ich will diesen Vermeer."

Standard: Andererseits wollte Jaromir Czernin das Bild schon vor 1938 verkaufen ...

Theiss: Aber nicht an Hitler. Er wollte den Vermeer an den US-Staatssekretär Mellon verkaufen, der eine Million Golddollar geboten hatte. Anfang 1938 gab es die mündliche Zusage von Schuschnigg, dass der Vermeer eine Ausfuhrgenehmigung bekommt. Denn er wollte den Amerikanern damit ein positives Zeichen geben. Doch dann marschierte Hitler ein. 1939 befahl Hitler das Bild nach München, Czernin nannte zwei Millionen Reichsmark als Preis. Dieser war Hitler zu hoch. Er sagte zum Fotografen Heinrich Hoffmann: "Ich habe die Möglichkeit, auf billigere Weise in den Besitz dieses Werkes zu kommen und werde es tun." Man hat Jaromir Czernin ganz klar zu verstehen gegeben: Du kannst dir wünschen, was du willst. Hinzu kam der Führervorbehalt: Ein Verkauf an jemand anderen wurde dadurch verunmöglicht. Czernin hatte keine Wahl: Er musste verkaufen, um die Existenz seiner Familie zu sichern.

Standard: Wurde Jaromir Czernin oder seine zweite Frau zum Beispiel mit dem Leben bedroht?

Theiss: Es stimmt: Alix ist nicht ins KZ gekommen. Eben weil Jaromir Czernin Hitler den Vermeer überlassen hat. Das war der Preis, um zu überleben. Alexander Czernin, der älteste Sohn, hat eine eidesstattliche Erklärung abgegeben. Er kann sich erinnern, dass sein Vater einen Brief liest und dann sagt: "Jetzt sind wir sicher." Und das war jener Brief, in dem der Kaufvertrag bestätigt wurde.

Standard: Czernin bekam zwar nicht zwei Millionen Reichsmark, wie anfangs gefordert, aber zumindest 1,65 Millionen. Nach Erhalt des Geldes schrieb er: "Ich bitte meinen aufrichtigsten Dank entgegennehmen zu wollen. Mit dem Wunsche, das Bild möge Ihnen, mein Führer, stets Freude bereiten."

Theiss: Czernin hat etwa eine Million Reichsmark erhalten, was ein Bruchteil des wahren Wertes ist. Hans Posse, der das Führermuseum in Linz aufbauen sollte, war entsetzt vom Preis und sprach von "Enteignung" . Der Brief war Teil einer Inszenierung: Im Zuge des Kaufvertrages musste ein Brief geschrieben werden, in dem sich Jaromir Czernin bedankt.

Standard: Österreich sah sich nach dem Krieg nicht als Rechtsnachfolger des NS-Regimes. Wie kam das Bild überhaupt in den Besitz der Republik und in der Folge ins KHM?

Theiss: Man dürfte sich der Problematik bewusst gewesen sein. Daher gab es ein Volksgerichtsverfahren gegen Adolf Hitler, um dessen Vermögen für verfallen erklären zu können. Der einzige Vermögenswert von Hitler in Österreich war der Vermeer.

Standard: Sollte das Rechtsgeschäft nun für nichtig erklärt werden: Müsste die Familie den einstigen Kaufpreis zurückzahlen?

Theiss: Nein. Denn Österreich hat nichts für den Vermeer bezahlt.

Standard: Wie lange gibt die Familie Czernin der Regierung Zeit?

Theiss: Mit dieser Frage haben wir uns noch nicht auseinandergesetzt. Ich schließe aus, dass sich die Republik der Argumentation der Nachkriegszeit anschließt.

Standard: Angenommen, das Bild würde restituiert: Würde es öffentlich zugänglich bleiben? Würde es in Privatbesitz verschwinden? Oder würde es versteigert?

Theiss: Auch mit dieser Frage haben wir uns noch nicht befasst. Mir persönlich wäre am liebsten, dass die Republik das Bild zu einem angemessenen Betrag kauft – und es bleibt dort, wo es gegenwärtig ist.

(Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe, 05./06.09.2009)