Freitag, 4.9.09, 4.30 Uhr

Gottseidank habe ich gestern vorgeschlafen, so wie man es früher als Kind zu Sylvester machte, also von abends sechs bis etwa halb zwölf nachts, um das Feuerwerk nicht zu verpassen. Nur daß es hier nicht um ein Feuerwerk ging, sondern um den natürlich fälligen Anruf von Hamburg-Heiner, von dem kein Mensch, der noch bei Trost ist, im Schlaf überrascht werden will, nicht einmal im Halbschlaf, in dem ich vor mich hindämmerte, als er anrief, denn er rief natürlich nicht um Punkt Mitternacht oder kurz danach an, er, Hamburg-Heiner, ist alles Mögliche, aber so vorhersehbar und verläßlich wie ein Sylvesterfeuerwerk ist er nicht, und deshalb kam sein Anruf gegen halb vier, als ich gerade dabei war, die Geschehnisse einer alten Columbo-Folge in die surrealen Gedanken einzuweben, die einen überkommen, wenn man auf der Grenze zwischen Wachsein und Schlaf wandelt wie ein turnunbegabtes Kind auf einem Schwebebalken.

Hamburg-Heiner: Ich bin's.
Sven (extrem lässig): Ich weiß, Hamburg.
HH: Woher?
Sven: Hamburg, dies ist das 21. Jahrhundert, da gibt es digitales Telefon und dem einzelnen Anrufer zugeordnete, eigene Signale, deins ist zum Beispiel das Leitmotiv von Till Eulenspiegel aus der gleichnamigen symphonischen Dichtung von Richard Strauss.
HH: Ich hasse Richard Strauss.
Sven: Wer denn nicht. Aber darum geht es hier nicht, lieber Freund.
HH: Ich weiß, darum rufe ich an. Es geht also wieder los.
Sven: Ja. Es geht wieder los.
HH: Wieso denn im Standard? Und was soll der alberne Titel? Wer würde denn auf die Idee kommen, daß VÖ Vorderes Österreich heißt?
Sven: Nun gut, wer würde denn auf die Idee kommen, daß VÖ in der Schallplattenbranche als Abkürzung für Veröffentlichung bzw. Veröffentlichungsdatum hergenommen wird?
HH: Das heißt nicht mehr Schallplattenbranche, Sven. Das hieß zum letzten Mal Schallplattenbranche, als ihr mit Element of Crime noch Newcomer wart. Und das ist verdammt lange her. Heute heißt das Musikindustrie. Und die gilt als böse.
Sven: Nicht bei mir. Ich will meine VÖ.
HH: Wann ist denn VÖ?
Sven: Die LP kommt am 18. September, und die Single kommt heute raus.
HH: Das heißt nicht mehr LP, Sven, das heißt CD und vor allem jetzt Download.
Sven: Es gibt die auch noch auf Vinyl.
HH: Hör auf damit, das ist mir jetzt zu viel Schleichwerbung. Ich möchte mal so fragen: Was soll der Blog bringen?
Sven: Ich habe mir gedacht, daß der Blog dreierlei bringen sollte: 1. sollte er dem ß wieder zu mehr Geltung verhelfen. 2. sollte er der Aussöhnung von Österreich und Deutschland dienen. Darum wollte ich ihn erst eigentlich "Versöhnen statt spalten" nennen, aber die Leute von der Polygram hatten Angst, daß dann Klagen reinkommen, weil das ein Johannes-Rau-Sample ist.
HH: Die heißen nicht mehr Polygram, die heißen seit 15 Jahren Universal, Sven! Und drittens?
Sven: 3. soll der Blog erzählen, was so abgeht im Vorfeld einer Plattenveröffentlichung, was da so geht und so.
HH: Ich fall gleich ins Wachkoma.
Sven: Kein Wunder, es ist ja auch mitten in der...
HH: Sven, vergiß das mit dem dritten Punkt. Das ist Quatsch. Aber das mit dem ß ist gut.
Sven: Ja, das ß ist irgendwie wie die Glühbirne, fast schon weg, aber noch nicht richtig.
HH: Ein langsames Sterben.
Sven: Genau.
HH: Aber nicht mit uns.
Sven: Auf keinen.
HH: Wir halten dagegen!
Sven: Auf jeden.
HH: Sei froh, daß das kein Blog für die Schweizer ist, die haben das gar nicht mehr auf der Tastatur.
Sven: Schlimm. Aber das kann mit Österreich nicht passieren.
HH: Warum nicht?
Sven: Weil sonst die beiden österreichischen Komponisten Johann Strauß, der Vater und Johann Strauß, der Sohn, genauso geschrieben werden müßten wie Richard Strauss, und der war ein Deutscher und außerdem ein alter Nazi.
HH: Auf sowas können die Österreicher nicht, mit so einem wollen die nichts zu tun haben.
Sven: Eben. Da ist irgendwie ein kleiner Graben zwischen den beiden Ländern, darum ja auch Nr. 2, ich meine Punkt 2, also das mit der Versöhnung der beiden Länder.
HH: Vergiß das, Sven. Da ist seit der Schlacht bei Königgrätz nichts mehr zu machen.
Sven: Ja, das war unglücklich damals. Ich dachte, man könnte das vielleicht irgendwie wiedergutmachen.
HH: Ich als Hamburger hätte da einen Vorschlag zu machen: Wir sollten ihnen Schleswig-Holstein wiedergeben. Das könnte sie milde stimmen.
Sven: Und sie hätten ein 10. Bundesland. Das ist irgendwie runder als 9. 10 Finger, 10 Gebote...
HH: Sie müßten dann aber auch die HSH-Nordbank übernehmen. Kleinigkeit, denke ich mal. Dafür bekommen sie direkten Zugang zu Nord- und Ostsee.
Sven: ... die 10 Geschworenen, die 10 Todsünden...
HH: Laß uns morgen drüber weiterreden.
Sven: ...die 10 Löcher beim Golf, das sind doch alles Argumente!!
HH: Laß uns morgen drüber weiterreden.
Sven: Was ist, wenn die Schleswig-Holsteiner nicht wollen?
HH: Wieso sollten die nicht wollen? Ich meine, die nennen sich "Das Land zwischen den Meeren", das ist doch fad. Wenn sie bei Österreich dabei wären, dann könnten sie sagen: "Das Voralpenland zwischen den Meeren", wie cool wäre das denn?!!
Sven: Ich muß da erstmal drüber schlafen, bevor ich das einfach so abnicke.
HH: Ja, laß uns morgen drüber weiterreden.

Und damit endete dieses Gespräch. Sollte das deutsch-österreichische Verhältnis wirklich so einfach zu reparieren sein? Und wird die Platte wirklich am 18. September erscheinen? Ist die Single-VÖ (heute! nur Download!) überhaupt noch zeitgemäß? Das sind bange Fragen, so mitten in der Nacht. Und kaum sind sie gedacht, klingelt auch das Telefon schon wieder.
HH: Keine Werbung mehr, das nervt.
Sven: Okay.
Aber da hat Hamburg-Heiner auch schon wieder aufgelegt. Seit er in Wilhelmsburg wohnt, ist er unversöhnlicher, härter geworden, gegen sich selbst ebenso wie gegen andere, hart aber gerecht, so wie der Hannes Eder, aber davon soll ein anderes Mal die Rede sein.

Stilisierte Darstellung eines in Holstein umgefallenen Spatens. Die dazugehörige Redewendung ginge zusammen mit dem Bundesland in österreichisches Eigentum über.