Viggo Mortensen und Kodi-Smit-McPhee in John Hillcoats "The Road"  nach einem Roman Cormac McCarthys.

Foto: Dimension Films
Foto: Dimension Films

Die Frage nach der Moral hat in Krisenzeiten wieder Konjunktur, und damit ist zur Abwechslung einmal nicht das Wirtschaftstief gemeint: Michael Moores neuer Dokumentarfilm Capitalism ist am Lido erst am Wochenende zu sehen. Moral ist in den ersten Arbeiten des 66. Filmfestivals in Ausnahmesituationen gefragt, die aber deshalb von gegenwärtigen Szenarien nicht weit entfernt sein müssen. Wie mag man beispielsweise in einer Welt, die von einer verheerenden Katastrophe heimgesucht wurde, noch an elementaren Regeln des Zusammenlebens festhalten? Wofür lohnt es sich überhaupt weiterzumachen?

Der US-Schriftsteller Cormac McCarthy beantwortet dies in seinem Roman The Road mit der Odyssee eines Vaters und seines Sohnes, die dem Glauben an das Gute nicht abschwören, obwohl die Lage hoffnungslos erscheint. Der Australier John Hillcoat hat aus dem düsteren und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Buch nun mit Viggo Mortensen und Kodi Smit-McPhee einen ebenso düsteren - und in stilistischen Belangen äußerst reduzierten - Film gedreht. Karge Landschaften sind zu sehen, in denen kein Baum mehr Blätter trägt; auf den Straßen liegt die Asche zahlloser Brände, die immer noch nicht verloschen sind; von urbanen Zivilisationen blieben nur Ruinen. Außerdem veranstalten Kannibalen Jagd auf Menschen.

Hillcoat gelingt es, die fragile Balance der Romanvorlage, die sich zwischen Stillstand und eruptiven Ausbrüchen bewegt, sehr überzeugend auf die Leinwand zu übertragen. Der Film muss sich nicht zwischen einem Überlebensdrama und der Erzählung von metaphysischer Not entscheiden, er darf beides zugleich sein. Episodisch schreitet die Handlung voran, verdichtet sich in Gefahrensituationen und findet vor allem im Zusammenspiel von Vater und Sohn Momente bebender Zärtlichkeit - ohne sich aber im Pathos zu verlieren. Am Ende dieses lichtarmen, monochrom grauen Films - nur wenige traumähnliche Flashbacks sind in Farben gehalten -, hat man seine Wahrnehmung ganz auf Endzeit umgestellt.

Sexuelle Nöte

Grundlegende Themen menschlichen Miteinanders hat auch der US-Amerikaner Todd Solondz in Life During Wartime im Visier. Natürlich spielt der Film nicht im Krieg, sondern wie schon frühere Arbeiten des trockenen Satirikers an der Heimfront - da, wo die Menschen selbstverständlich nicht mit dem Krieg, sondern mit ihren privaten Defiziten beschäftigt sind. Der Film beginnt mit einer hübsch getimten Restaurantszene, ein Paar will sich vergeben, dabei werden viele Tränen vergossen, bis die Kellnerin den Mann plötzlich wüst beschimpft.

Das gibt die Tonart für ein Kaleidoskop dysfunktionaler Familienverhältnisse vor, in dem, wie schon in Palindromes, Pädophilie und sexuelle Nöte zentrale Motive sind. Manches davon gerät durchaus pointiert, manches komisch, manches arg forciert - Solondz' Figuren leiden unter ihrer Beweislast, die ihnen ihre Freiheit nimmt und sie zu thesenhaften Typen degradiert.

Baaria, Giuseppe Tornatores aufwändig-opulenter Eröffnungsfilm, hätte wiederum ein paar schlüssige Ideen mehr gut gebrauchen können: Die Ode an die sizilianische Stadt Bagheria, die hier entlang der (Familien-)Chronik eines Hirten entworfen wird, rast hektisch polternd durch das 20.Jahrhundert, ohne eine dramatische Linie zu finden.

Und so gerät der Film zunehmend zu einer Feier des prallen Lebens der Inselbewohner, dem weder die Verwerfungen der Mafia noch die der Geschichte etwas anhaben können. (Dominik Kamalzadeh aus Venedig / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.9.2009)