London - Die Beziehungen zwischen Libyen und Großbritannien haben bei der Entscheidung über das Schicksal des Lockerbie-Attentäters möglicherweise doch eine Rolle gespielt. Die britische Regierung veröffentlichte am Dienstag Briefe an die schottische Landesregierung. Aus diesen geht unter anderem hervor, dass der britische Justizminister Jack Straw von seiner ursprünglichen Meinung abrückte, den Attentäter von einem Abkommen zum Gefangenenaustausch zwischen Libyen und Großbritannien auszuschließen. Als Grund nannte er "überwältigende Interessen" Großbritanniens und das "kritische Stadium der Verhandlungen mit Libyen". Näher definierte Straw dies jedoch nicht.

Jedoch betont die Regierung in London immer wieder, dass eine Entscheidung über die Zukunft des Attentäters alleine bei der schottischen Regionalregierung liege. Schottland hatte den krebskranken Libyer Abdel Basset al-Megrahi am 20. August begnadigt und in seine Heimat entlassen. Es wurde spekuliert, dass Megrahi auch frei gekommen sei, weil Großbritannien Wirtschaftsinteressen im ölreichen Libyen habe. Die Regierung in London hatte das stets weit von sich gewiesen.

In den acht Briefen, die bis Juni 2007 zurückreichen, geht es vor allem um das Abkommen zum Gefangenenaustausch zwischen Libyen und Großbritannien. Straw schrieb, dass es nicht "notwendig oder sinnvoll" sei, die "weitreichenden und vorteilhaften Beziehungen" zwischen Großbritannien und Libyen zu schädigen, indem der Attentäter von dem Austausch ausgeklammert würde. Libyen sei ein "wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus".

Megrahi war 2001 wegen des Anschlags auf eine Maschine der US-Linie PanAm über dem schottischen Ort Lockerbie zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bei dem Anschlag waren 270 Menschen ums Leben gekommen. Weil er nach Angaben der schottischen Regierung nur noch wenige Monate zu leben hat, wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen. Die Entscheidung hatte vor allem in den USA für Empörung gesorgt.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass Libyen einem Zeitungsbericht zufolge Entschädigungszahlungen für Angehörige von Opfern der ehemaligen Terrororganisation IRA erwägt. Der Hintergrund: Während des Konflikts in Nordirland hatte Libyen die IRA mit Waffen und Sprengstoff versorgt. Nach der Begnadigung des Lockerbie-Attentäters vor knapp zwei Wochen hatten Angehörige von IRA-Opfern ihre Rufe nach Entschädigungen von Libyen erneuert. (APA)