Berlin - In die Bundestagswahl in Deutschland geht die Große Koalition trotz Wirtschaftskrise mit der geringsten Arbeitslosigkeit an einem Wahltag seit der Wiedervereinigung. Wenn am 27. September gewählt wird, liegt die offizielle Arbeitslosenzahl bei 3,472 Millionen. Diese August-Zahlen gab die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag bekannt. Das sind 9.000 Erwerbslose mehr als im Juli und 276.000 mehr als im August 2008. Ähnlich niedrig war die Arbeitslosenzahl nur bei der Bundestagswahl im Oktober 1994 mit knapp unter 3,5 Millionen.

Der Arbeitsmarkt hält damit dem Wirtschaftseinbruch besser stand als erwartet. Zum Jahresende wird die Arbeitslosenzahl nach Einschätzung von BA-Chef Frank-Jürgen Weise "ein ganzes Stück" unter der Marke von vier Millionen bleiben, bevor sie im nächsten Jahr deutlich darüber steigt. Die Unternehmen setzen stärker auf Kurzarbeit als auf Entlassungen. Nach den BA-Zahlen arbeiteten Ende Juni gut 1,4 Millionen Beschäftigte kurz.

Reaktionen

Arbeitsminister Olaf Scholz erklärte, niemand solle sich angesichts der Wirtschaftsprognosen Illusionen machen. "Gerade auf dem Arbeitsmarkt bleiben die Aussichten schwierig", sagte der SPD-Politiker. "Aber wenn wir es richtig angehen, dann können wir deutlich besser sein als alle düsteren Prognosen."

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach im Bayerischen Rundfunk von einem Erfolg der Politik der Großen Koalition, aber auch der Unternehmen und Betriebsräte. "Wir wissen, dass wir mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen müssen, aber wir wissen nicht, wie stark", sagte die CDU-Chefin.

Die Linkspartei warf der Regierung dagegen vor, sie habe mit ihren Maßnahmen zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes - wie etwa den Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld - nur vor Augen gehabt, "den unausweichlichen Einbruch am Arbeitsmarkt auf die Zeit nach der Bundestagswahl zu verschieben".

Die Grünen sprachen von "Arbeitsmarkt-Propaganda". Die Absicht von Scholz sei klar: "Vor der Wahl sind schlechte Nachrichten verboten", erklärte deren Arbeitsmarktpolitikerin Brigitte Pothmer. "In Wahrheit fehlen über fünf Millionen Jobs."

Zur Begründung verwiesen die Grünen auf Zahlen der BA. Die Behörde beziffert die Unterbeschäftigung auf gut 4,5 Millionen, da sie zu den Arbeitslosen auch Menschen in Arbeitsmarktprogrammen wie etwa der Weiterbildung hinzuzählt. Legt man zudem bei den gut 1,4 Millionen Kurzarbeitern einen Arbeitsausfall von einem Drittel zugrunde, wären das fast 500.000 Vollzeitbeschäftigte, die andernfalls arbeitslos wären.

"Weniger als vier Millionen Arbeitslose"

Die Wirtschaftskrise wird den Arbeitsmarkt nach Einschätzung der BA in diesem Jahr weniger stark treffen als erwartet. "Insgesamt gehen wir davon aus: Es wird entlassen. Es wird aber unter dem liegen, was wir alle zu Beginn des Jahres mal befürchtet haben", sagte Weise. Im Jahresdurchschnitt 2009 werde die Arbeitslosigkeit eher unter den veranschlagten 3,7 Millionen liegen. Erst im nächsten Jahr werde die Arbeitslosenzahl auf über vier Millionen steigen, aber unter fünf Millionen bleiben.

Die August-Zahlen bestärkten die BA in ihrer Zuversicht. "Vor allem Kurzarbeit stabilisiert den Arbeitsmarkt", sagte Weise. Die Zahl der Kurzarbeiter legte von Ende März bis Ende Juni um gut 300.000 auf rund 1,43 Millionen zu. Im Herbst wird sich erweisen, wie vielen von ihnen letztlich doch die Arbeitslosigkeit droht. September bis November sei die "entscheidende Phase in den Betrieben, ob sie Kurzarbeit verlängern", sagte BA-Vorstandsmitglied Raimund Becker.

Steigende Kosten für Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld treiben die BA-Finanzen tief in die roten Zahlen. Ende August lag das Defizit der Behörde bei 14,42 Mrd. Euro und damit um 900 Mio. Euro höher als geplant. Gleichwohl geht die BA davon aus, dass sie das Defizit in diesem Jahr vollständig aus ihren in früheren Jahren angesammelten Rücklagen decken kann. "Dann wird die Rücklage von 17 Mrd. Euro aufgebraucht sein", sagte Weise. Im kommenden Jahr erwartet die BA ein Defizit von über 20 Mrd. Euro. Sollte der Bund die Schulden dann nicht übernehmen, droht spätestens ab 2011 eine deutliche Anhebung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung. (APA/Reuters)