Sven Regener, deutscher Bestsellerautor, Sänger der Berliner Band Element Of Crime und ab Freitag, 4.9., für zwei Wochen Standard.at-Blogger, zerbricht sich den Kopf über Österreich: "Das ist ja das Einzigartige an Österreich, dass es im eifrigen Österreichbeschimpfen weltweit führend ist."

Zur Person:
Sven Regener, geboren 1961 in Bremen, ist Sänger und Texter der Berliner Band Element Of Crime sowie Autor der Romantrilogie "Herr Lehmann", "Neue Vahr Süd" und "Der kleine Bruder".

 

Foto: Universal Music

Standard: Rund um das Erscheinen des neuen Albums Ihrer Band Element Of Crime werden Sie auf derStandard.at bloggen. Was darf man da erwarten?

Regener: Ich habe schon Tour-Blogs, einen Berlin-Blog alle möglichen Blogs geschrieben. Ich denke, der im Standard wird sich vor allem die Versöhnung der Deutschen mit den Österreichern zum Ziel nehmen. Ich glaube, dass in den letzten 20 Jahren einiges schief gelaufen ist zwischen diesen beiden Ländern.

Standard: Was wissen Sie denn alles über Österreich? Sind Sie sich etwa der Tatsache bewusst, dass das moderne Österreichische Selbstbewusstsein gegenüber Deutschland bis heute auf dem 3:2 Sieg bei der Fußball-WM 1978 basiert?

Regener: Das ist mir nicht gegenwärtig. Unangenehme Dinge verdrängt man ja gerne. Aber um solche Dinge muss es gehen: Nämlich wie unterschiedlich Dinge bewertet werden.

Standard: Denken Sie so oft an Österreich?

Regener: Täglich. Ich gewinne ja immer Wetten. Ich kann nämlich alle neun Bundesländer mit Landeshauptstädten aufzählen. Glaubt mir nie jemand, darum gewinne ich immer ganz viel burgenländischen Wein.

Standard: Welche Themen werden Sie für jüngere Leser berühren?

Regener: Falcos Tod.

Standard: Ich sagte jüngere!

Regener: Ist das nicht ein Nationalfeiertag, Falcos Todestag?

Standard: Nein, haben Sie davon gehört, dass in einem von Zwangsarbeiten errichtete Nazi-Stollen in Kärnten ein Jörg Haider Museum geplant ist?

Regener: Nein, aber das passt doch gut. Ich hab auch gehört, man will ihn heilig sprechen lassen, ist das ein Gerücht?

Standard: Das ist noch ein Gerücht

Regener: Das ist zwar alles überbewertet, aber es schafft natürlich auch dieses Zerrbild von Österreich, das und natürlich der österreichische Kulturexport Nummer eins, das Österreichbeschimpfen. Das ist ja das einzigartige an Österreich, dass es im eifrigen Österreichbeschimpfen weltweit führend ist. Elfriede Jelinek bekam den Nobelpreis, und der Mann von der Akademie sagte, sie würde den Preis für ihre Kritik an der österreichischen Konsumgesellschaft bekommen. Alter Schwede - als wäre das kein weltweites Phänomen!

Standard: Als würden Schweden nicht bei Ikea kaufen

Regener: Genau, das ist ja ein megaaggressiver Ansatz: Wir verleihen dieser Frau diesen Preis, weil sie die österreichische Konsumgesellschaft kritisiert hat. Das ist schon irre! Deshalb muss es um Versöhnung gehen. Ich war ja mal bei Ö1 Gast, da konnte man dann anrufen. Mein Gott, ich bin noch nie so beschimpft worden wie damals, weil ich etwas gegen die Bundeswehr gesagt habe. Die Grauzone zwischen Bizarr und Grotesk wurde da ausgeleuchtet. Da gab es große Momente. Ich denk da gern dran zurück.

Standard: Bloggen ist ein Volkssport geworden. Das Banale bemüht sich darin meist vergeblich um Bedeutung.

Regener: Das entscheidende ist: Es ist nicht ernst. Wenn man das ernst nimmt, hat man schon verloren.

Standard: Für viele sind Blogs aber ihr Fenster zur Welt, in dem sie dieser erklären, wie sie zu funktionieren hat.

Regener: Das ist ja die Idee des Internets: Leserbriefschreiben, Nörgler, der Stammtisch-Proll, die machen sich halt jetzt frisch im Internet. Find ich in Ordnung. Aber meiner wird versöhnen: Versöhnen, statt spalten, wie Johannes Rau gesagt hat. Bruder Johannes. Der war ja einer unserer härtesten Versöhner. Versöhnen mit allen Mitteln! Ganz starker Typ.

Standard: Sie als Erfolgsautor und Rock'n'Roller sind aber sicher ein sexy Blogger.

Regener: Ich denke, dass das Verhältnis von ausgedacht zu wahr bei ungefähr 90 zu zehn liegen soll. Die Wahrheit als hauchdünne Würze. Ein großes Vorbild ist H.C. Artmann: "Die Suche nach dem gestrigen Tag oder Schnee auf einem heißen Brotwecken". Da versöhnen wir schon. Ein Österreicher, der bei Rowohlt veröffentlicht hat. Das ist ein fiktives Tagebuch eines Aufenthalts in Malmö mit Anreise über Westberlin, komplett ausgedacht. Damit war er, glaub ich, ganz vorne. Liest sich wunderbar.

Standard: UserInnen können auf der Standard-Homepage Artikel in Foren kommentieren? Werden Sie da kommunizieren?

Regener: Die Kommentare les ich nicht, weil mich das einschüchtert.

Standard: Postings sind brutaler als Anrufe, dafür braucht es ja Restmut während man als anonymer Poster fast alles ablassen kann.

Regener: Ja genau, ich hab mir mall die Kommentare bei unserem Tourblog angesehen. Da gab's plötzlich 17.000 Kommentare! 16.970 waren aus der Welt des Ficken-Ficken-Ficken.com, also sexthematisch unterwegs.

Standard: Eine Tour der verpassten Gelegenheiten

Regener: Absolut.

Standard: Sind Blogs ein Zukunftstool der Schallplattenwirtschaft zur Promotion ihrer Produkte?

Regener: Ich glaub, wenn der Blog richtig gut läuft, echt super, kann man damit in Österreich sicher drei Platten mehr verkaufen. Ich wäre da aber nicht dabei, weil ich würde keine Platte kaufen, nur weil der da gebloggt hat.

Standard: Also ist es auch nicht das neue den-Fernseher-aus-dem-Fenster-werfen des Rock'n'Roll?

Regener: Das ist nur etwas, wozu einen die Plattenfirma überreden will und man sagt: ja. Erstens kann man es später immer noch als Buch rausbringen, ein schneller Schilling am Güterbahnhof quasi, und man will die ja nicht immer nur enttäuschen. Blog ich halt. Tut ja niemandem weh.

Standard: Bloggen ist ja als Internet-Ding etwas rasantes, während Ihre Musik die Welt eher entschleunigt. Ist das eine subtile Form der Subversion?

Regener: Die neue Platte ist ja ungewöhnlich schnell. Punkrock, vergleichsweise. Ich weiß gar nicht, wie wir das gesundheitlich durchhalten sollen auf Tour. Subversion?! Wir machen einfach das, was wir am besten können. Und was sonst keiner macht. So wie Heinz Strunk bei einer Lesung meinte: Bevor ich jetzt in die Hochkultur gehe, möchte ich noch einmal meine Kernkompetenz in Sache Pipi, Kacke und Sperma mit diesem Buch beweisen. Hat er schön gesagt. Wir machen dasselbe. Wir beweisen, wo unsere Kernkompetenz liegt. Dahinter ist keine subversive Absicht, das wäre ja auch verkrampft. Es ist doch viel besser zu sagen, wir machen die Musik, und ob die subversiv ist, sollen die beurteilen, die uns nachher einsperren. Außerdem wäre es ja total bescheuert, wenn man als Musiker von sich behaupten würde, man wäre arg subversiv. Element Of Crime: Die neue subversive Band aus Berlin ... die ganz heißen jungen Typen.

Standard: Ist Rock'n'Roll für Sie heute noch ein taugliches Lebensgefühl?

Regener: Rock'n'Roll ist unbesiegbar. Schon länger als es den Begriff gibt. Rock'n'Roll ist einfach das Lebensbejahendste was es gibt: Gabba Gabba Hey! Rock'n'Roll ist die Liebe zum Leben, die Liebe zum Individuum, was eine Umschreibung für Sex ist, und das sind alles sehr lebensbejahende Dinge.

Standard: Rock'n'Roll will never dead - wie der weltgewandte Österreicher sagt ...

Regener: (prustet los) Never dead!!! Ja, wie die Ramones: genau ein Lied. Vom Anfang bis zum Ende. Und ich möchte kein Einziges davon missen. Es geht nämlich genau nicht um das was sie im Jazz postulieren, dass man originell sein muss oder das Pulver neu zu erfinden hat, Scheiß der Hund drauf, es geht - nein, Scheiß auf den Kaktus -, es geht darum: Im Moment machen wir diese Musik weil wir sie lieben. Aus die Maus. Das ist die Idee. Und Elvis ist der King. Wird immer so sein.

Standard: Wie kommt man auf "Scheiß auf den Kaktus"? Das singen Sie am neuen Album. Das hat man dort, wo ich herkomme, auch oft gesagt. Das ist so alt, dass ich es längst vergessen hatte. Wie sind Sie da drauf gekommen?

Regener: Das hab ich nicht gewusst. Ich dachte an die Berliner, die am Fensterbrett sitzen und da den Kaktus mit den Ellbogen wegschieben. Ansonsten kannte ich nur "Scheiße im Kanonenrohr". Wieder eine Deutsch-österreichische Gemeinsamkeit. Versöhnen statt spalten. Wir schaffen das.

Standard: Musikalisch ist die neue Platte ein Grenzlandwerk, mexikanisch-US-amerikanisch. Gibt es bei EOC Amerika-Sehnsuchtsmomente?

Regener: Wir mögen diese Musik einfach so gerne. Die ist so schön! Die Trompete zum Beispiel: Als Kind hatte ich eine Patentante, die hatte Geld. Die fuhr 1968 zur Olympiade nach Mexiko und brachte meinen Eltern eine Stapel Mariachi-Platten mit. Und da war Zeug drauf, das fand ich so schön!

Standard: Trotzdem sind Sie nicht der, sagen wir, Willy DeVille Deutschlands geworden.

Regener: Nein, aber er auch nicht der Sven Regener der USA. Man darf diese Ethno-Sause in der Musik nicht übertreiben. Die Musik gehört schon allen und jedem immer. Auch der Willy kam ja nun aus New York 1A, war überhaupt nicht der Südenstaatentyp, als der er rüberkam. War aber egal, er liebte diese Musik und hat sie deshalb gemacht. Dafür musste er nicht von irgendwo herkommen.

Standard: Nochmals die Ramones: Was wäre denn das eine Lied von EOC?

Regener: Wir haben drei. Wie heißt das, das langsame von der neuen Platte? "Keiner kommt weiter" ist so ein Lied. Dann haben wir das erste oder so, und dann dieser Walzer, wie heißt der? "Kaffee und Karin".

Standard: Hat man bei einem Song wie "Deborah Müller" nicht Angst, dass sich eine so heißende Dame meldet und fragt, was soll das?

Regener: Das ist heikel, andererseits: Ich sag auch gern mal "Kunst", wenn's darauf ankommt. Und die darf einiges. Wenn ein Richter oder ein Anwalt anruft, sag ich sofort "Kunst"!

Standard: Letzte Worte an das österreichische Publikum?

Regener: Im Februar spielen wir im Gasometer, letztes Konzert der Tour.

Standard: Das Planet Music, in dem Sie so oft gespielt haben, gibt's ja nun nicht mehr.

Regener: Als das Planet Music hieß, war's eigentlich schon vorbei. Das wusste ja jeder. Das Rockhouse war ja noch so ein verwanzter Quatschladen, voll okay, aber das Planet Music, ich mein ...

Standard: Das hat ein Wasserträger der Wiener SPÖ übernommen, und der macht jetzt auch den Gasometer, mit Metal-Battles und so Zeug.

Regener: Wo er seine Schreckencrew vom Rockhouse wieder einsetzen kann. Die waren so toll! "Hätts wos glernt, brauchats net orweiten", so Typen waren das. Die waren sooo geil. So prollig, das war sooo toll. Da hatte ich ja nicht einmal Angst bei denen. Normalerweise, wenn man so Typen sieht, denkt man sich, welche Chance hab ich bei denen ...

Standard: ... aber bis die hochkommen ...

Regener: Ja eben, so geil ... aber wir sind halt jetzt auf Gasometer-Level.

Standard: Wird's live Änderungen geben?

Regener: Wir bringen jetzt auch einen Geiger mit,

Standard: Klingt nach Calexico ...

Regener: Nee, das behagt mir nicht so, weil uns gibt es ja schon viel länger, als die. Ältere Vergleiche bitte ...

Standard: Doug Sahm?

Regener: Okay, ja, aber auch so Jethro-Tull-mäßig. Nur eben statt Querflöte Geige und weniger Einbeinigkeit.

(Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 03.09.2009)