Schratter über die Faszination Tier: "Einerseits interessiert uns nicht, wie das Hendl auf den Tisch kommt, auf der anderen Seite gibt es diese übertriebene Tierliebe."

Foto: STANDARD/Matthias Cremer

Dagmar Schratter, Direktorin des Tiergartens Schönbrunn, sprach mit Petra Stuiber über Federvieh aller Art, Knut, Fu Long und Tiermania im TV. Wiener hält sie für "sehr tierlieb" , Zoos seien wichtiger denn je


Standard: Wir treffen uns im Kaffeehaus-Pavillon, einem Ihrer Lieblingsplätze im Zoo. Sie sagen, es ist einer der wienerischsten. Warum?

Schratter: Es gibt zwei sehr wienerische Plätze, das ist einmal der Frühstückspavillon desKaisers, wo wir sitzen. Das Zentrum der historischen Anlage, 250 Jahre alt, und seit 60 Jahren ein Wiener Café-Restaurant. Der zweite wienerische Platz: Wir haben ein Café Landtmann beim Neptunbrunnen. Beide Kaffeehäuser werden sehr gut angenommen.

 

Standard: Wozu gibt es heute noch Zoos? Das Leitbild in Schönbrunn ist, Schutz und Erhalt der Tierarten in ihren natürlichen Lebensräumen und Bewusstsein zu schaffen. Geht das nicht auch anders?

Schratter: Es gibt einen abgedroschenen Spruch: Man schützt nur das, was man kennt. Und es ist etwas anderes, ob ich Tiere in den Medien erlebe oder ob ich einem Tier gegenüberstehe. Ein nettes Erlebnis: Ein Kärntner hat in Schönbrunn das erste Mal in seinem Leben eine Giraffe live gesehen. Es kann sich nicht jeder leisten, und aus ökologischen Gründen wäre es ja auch nicht gut, wenn alle nach Afrika zu den Giraffen fliegen.

Standard: Aber immer mehr können es sich leisten.

Schratter: Im Verhältnis sind es aber immer noch sehr wenige. Der Kärntner Besucher war jedenfalls platt, als er fünf Meter zur Giraffe hinaufgeschaut hat. Das direkte Erlebnis Tier ist ein anderes, als man es über Medien vermitteln kann. Dort ist eine Fliege gleich groß wie eine Giraffe. In Städten ist der Tiergarten oft der erste Kontakt zu den Tieren, nicht nur zu exotischen. Am Tirolerhof haben wir alte gefährdete Haustierrassen. Es gibt etwa 600 Millionen Zoo- und Aquarien-Besucher weltweit pro Jahr, bei uns waren es im Vorjahr 2,6 Millionen. Wir erreichen sehr viele Menschen, können Botschaften vermitteln, und das Wichtigste: Wir wecken die Liebe zum Tier.

 

Standard: Apropos Liebe: Wann muss Fu Long, der Wiener liebster Panda, zurück nach China?

Schratter:Wir werden wahrscheinlich im November den Transfer machen, weil es jetzt viel zu heiß ist. Fu Long kommt in die Zweigstelle der Forschungs- und Zuchtstation Wolong, Bifenxia. Die Station in Wolong selbst ist während des Erdbebens im Vorjahr zerstört worden. Alle Pandas außerhalb Chinas gehören der Volksrepublik China. Die Tiere, die bei uns geboren werden, bleiben zwei Jahre bei uns, weil auch im Freiland die Jungtiere so lange bei der Mutter bleiben. Wenn die wieder paarungsbereit ist, wird das Jungtier oft aktiv von der Mutter vertrieben. Dann hätten wir hier ein Problem.

 

Standard:Der WWF stellt dem Tiergarten Schönbrunn ein Gütesiegel aus. Er sagt aber auch, Tiere mit großen Streifgebieten, wie Eisbären, Wölfe oder Greifvögel, leiden unter den Bedingungen der Gefangenschaft, und es sei kaum möglich, deren Bedürfnisse zu befriedigen. Sollte man damit nicht aufhören?

Schratter: Von den Greifvögeln haben wir noch genau drei Arten hier: Bartgeier, Schmutzgeier und Schlangenadler. Der Letztere ist eine hochgefährdete Tierart, bei der die Zucht überhaupt noch nicht funktioniert. Beim Bartgeier, einem Vogel, der in den Alpen komplett ausgestorben war, beteiligen wir uns an einem Wiederansiedlungsprojekt seit 25 Jahren, das erfolgreichste in Europa. Den Bartgeier gibt es jetzt wieder über den gesamten Alpenbogen. Alle Tiere, die freigelassen wurden, sind Nachzuchten aus Zoos. Um auf den Eisbären zurückzukommen: Ich habe gerade aktuelle Fotos bekommen, weil wir ein Eisbären-Projekt unterstützen. Wir zahlen Sender, um zu wissen, was im Klimawandel passiert. Wie ändern sich die Wanderrouten der Eisbären. Passen sie sich an, gehen sie mehr an Land, gibt es da Konflikte? Die gibt es tatsächlich. Wenn Sie die Bilder von den abgemagerten Eisbären gesehen hätten ... Da herrscht eine ganz, ganz schlimme Bedrohung im Freiland. Eisbären im Zoo sind Botschafter für die Arten im Freiland - um finanzielle Mittel zu akquirieren.

 

Standard: Knut, der kleine Berliner Eisbär, hat in vielen Zoos einen Züchter-Boom ausgelöst. Auch in Schönbrunn kamen unter Getöse Eisbärenzwillinge zur Welt. Muss man da mitmachen?

Schratter:Nein, Knut hat auch bei uns keinen Züchterboom ausgelöst. Wir haben zum siebenten Mal Jungtiere, wir sind einer der wenigen Zoos, wo die Eisbärenzucht regelmäßig klappt. Die Zwillinge vom Vorjahr haben nur mehr Aufmerksamkeit in den Medien erregt. Früher hat es niemanden so interessiert. Durch Knut ist halt der Fokus der Medien dagewesen.

Standard: Besteht die Gefahr, dass Medien ein falsches Bild von wilden Tieren vermitteln?

Schratter: Die Gefahr besteht.

Standard: Ist das bei Knut passiert?

Schratter:Bei Knut auf alle Fälle. Wobei ich nicht der Zooleitung allein die Schuld geben will. Auch die Medien waren nicht zu halten. Haben Sie einmal einen drei, vier Monate alten Eisbären gesehen, wenn er aus der Höhle kommt?

Standard: Nein.

Schratter: Das sind wahnsinnig putzige Tiere, mit dem weißen Kuschelfell und den schwarzen Knopfaugen. Da kann sich keiner verschließen. Es ist einfach das Kindchenschema, das ja auch die großen Pandas haben. Es ist auch in uns genetisch fixiert, dem nicht widerstehen zu können. Ich sehe keinen Nachteil darin, weil damit auch die Bedrohung von Eisbären in freier Natur in aller Munde ist.

Standard: Glauben Sie, dass das im Knut-Fieber auch angekommen ist?

Schratter: Mit Sicherheit. Durchforsten Sie einmal die Medien. Weder vorher noch nachher ist so viel über den Eisbär im Freiland geschrieben worden.

 

Standard: Wie erklären Sie die Faszination von Tiersendungen?

Schratter: Wir machen ja bis zu einem gewissen Grad selbst mit. Es gibt eine Miniversum-Serie, seit vielen Jahren. Die unterscheidet sich aber von vielen Privat-TV-Serien, weil es hier sehr stark um die Biologie der einzelnen Tierarten geht und erst sekundär um den Blick hinter die Kulissen. Die Schere geht immer weiter auseinander, was Tier- und Naturschutz betrifft. Auf der einen Seite werden Tiere als reine Produktionsmittel gesehen, und man will gar nicht wissen, wie das Hendl auf den Tisch kommt. Auf der anderen Seite gibt es übertriebenen Tierschutz, bis hin zur Forderung "Menschenrechte für Menschenaffen" , was ich völlig ablehne. Menschenaffenrechte für Menschenaffen wäre wichtig und richtig.


Standard: Für wie tierlieb halten Sie die Wiener?

Schratter: Die Wiener sind sehr tierlieb. Es zeigt sich auch an unseren Projekten, welche die heimische Tierwelt betreffen. Wir haben eine Patenschaftaktion für die Sumpfschildkröten östlich von Wien, die ja auch ganz stark bedroht sind. Die Tierliebe der Wiener sieht man auch an den vielen Hunden und Katzen. Tierlieb ist aber leider nicht immer gleichzusetzen mit einer tiergemäßen Haltung. Auch hier versuchen wir, Hilfestellung zu bieten. Wir zeigen Heimtiere, vom Meerschweinchen bis zum Kaninchen, und zeigen, wie man sie optimal halten soll. Es passiert im Heimtierbereich unbewusst viel Tierleid, weil die Besitzer über die Bedürfnisse oft nicht Bescheid wissen.

Standard: Ein Beispiel?

Schratter: Zum Beispiel, dass Kaninchen und Meerschweinchen zusammengehalten werden, was immer wieder vorkommt. Sie haben eine ganz andere Sprache, sowohl Lautsprache als auch Körpersprache. Ein Beispiel: Wenn Meerschweinchen miteinander kuscheln, dann heißt das nicht, die fühlen sich wohl, sondern die haben großen Stress. Umgekehrt kuscheln Kaninchen gerne miteinander. Wenn die Leute dann zwei Arten, die sich überhaupt nicht verstehen, zusammenhalten, dann kommt es auch immer wieder zu Konflikten, die dem Besitzer gar nicht bewusst sind. Aber die Tiere haben Stress. Die wenigsten Menschen wissen auch, dass Meerschweinchen so große Individualisten sind, dass jedes seine eigene Schlafkiste braucht.

Standard: Verstehen Sie den hinhaltenden Widerstand der Wiener, was das Wegräumen von Hundehaufen betrifft?

Schratter: Ich habe eigentlich eine andere Erfahrung gemacht. Mir kommt vor, dass es schon viel besser geworden ist.

Standard: Ach ja?

Schratter: Die Bewusstseinkampagne der Stadt hat für viele vielleicht noch zu wenig gegriffen, meiner Beobachtung nach aber immerhin schon ein wenig bewirkt. In den Parks gibt es jetzt Plastiksackerln, und ich sehe fast nur Hundebesitzer, die ein Sackerl nehmen und den Haufen ihrer Lieblinge wegräumen. Ich denke, dass die Sensibilisierung sehr wohl gelungen ist.

Standard: Deutsche Städte haben das Problem schon lange gelöst.

Schratter: Die Wiener sind etwas pragmatischer und bequemer. Man hat jetzt auch mit Strafen begonnen, manchmal hilft halt nichts anderes.

Standard: Bürgermeister Häupl erzählte einmal, er bekomme ungefähr gleich viele Briefe von Wienern, die ihn entweder auffordern, mehr zum Schutz der Tauben zu tun, oder, die Tauben zu vergiften. Zu welcher Fraktion gehören Sie?

Schratter: Zu jener, mehr für den Taubenschutz zu tun. Und zwar insofern, dass man auch versucht, die Taubenproblematik einzudämmen. Dass man mehr Aufklärung bei der Bevölkerung macht, Tauben nicht zu füttern. Tauben brauchen keine Extrafütterung. Es gibt gute Beispiele, wie das Augsburger Modell, wo man ganz gezielt Futter- und Brutplätze anbietet, und dann dort Geburtenkontrolle macht. Dafür wäre ich in Wien auch. Aber, um Sie zu beruhigen: Tauben übertragen nicht mehr Krankheiten als jedes andere Tier. (Petra Stuiber, DER STANDARD Printausgabe 27.8.2009)